Meine Geräuschempfindlichkeit wurde auch in den letzten Jahren immer stärker.
Vor einigen Jahren hatte ich eine mehrmonatige Phase, in der meine Filter kaum noch funktionierten und alle Sinneseindrücke ungefiltert zu mir durchdrangen.
Ich hatte alle Gerüche Berlins auf einmal in der Nase, jeden Hundehaufen, jedes Deo, jeden Bratwurststand, jede Blüte und jede öffentliche Toilette der Stadt.
Ich hörte jedes Geräusch um mich herum so intensiv, dass die unterschiedlichen Geräusche visuell wurden, da sie in meinem Hirn Formen bildeten, sich quasi selbst ausstanzten, wie Weihnachtsplätzchen aus dem Teich ausgestochen werden.
Auch meine optischen Wahrnehmung war sehr intensiv.
Geblieben ist die akkustische Empfindlichkeit. Ich höre heute ganz selten Musik, weil ich in meinen eigenen vier Wänden sehr genieße, die Sinnensreize auf ein Minimum zu reduzieren. Ich habe deshalb auch eine Wohnung bezogen, die sehr ruhig liegt und in die bei geschlossenem Fenster nur ganz selten ein Geräusch von außen dringt. Im Sommer, wenn ich aufgrund der Hitze und der ersehnten Luftzüge gerne bei offenem Fenster schlafe, registriere ich nachts jedes Geräusch, weshalb Ohropax immer neben meinem Bett liegen, die auch auf Reisen immer mein Begleiter sind und zu denen ich auch greifen muss, wenn jemand neben mir liegt nachts, tief atmet, durch die Nase pfeift, mit den Zähnen knirscht oder gar schnarcht (letzteres höre ich dann sogar durch die Ohropax).
Spielen Kinder im Hof oder hat ein Nachbar ganz normal laut Musik an, könnte ich zum Mörder werden. Ich finde Kinder klasse, aber wenn ich ein Mittagsschläfchen machen möchte und auch nur einen Ton höre, dann werde ich einfach aggressiv und in der Phase des Einschlafenwollens bin ich auch gedanklich schon aufgestanden und habe alles mit der Knarre niedergemetzelt ... Furchterregend ....
Ganz furchtbar finde ich aber ein Durcheinander an Geräuschen, z. B. in der U-Bahn: Die Ansage des Bahnbeamten „Bitte beachten Sie das Rauchverbot“, Stimmengewirr, das Quietschen der einfahrenden U-Bahn und dann vielleicht noch ein paar Kerle, die sich irgendwo kabbeln, ein Hund der bellt .... Da muss ich dann einfach die Flucht ergreifen ... Und wenn mich dabei auch noch einer versehentlich anrempelt, muss ich aufpassen, dass ich nicht zuschlage ....
Auch bei der Arbeit habe ich manchmal solche Tage, wenn alle Telefone gleichzeitig klingeln, der Postbote mit ner Kollegin im Flur tratscht, der ein oder andere in seinem Zimmer telefoniert und vom Ende des Flurs Gelächter an mein Ohr dringt. Dann MUSS ich die Türe schließen ...
Oder im Supermarkt, im Restaurant, auf Geburtstagsfeiern ..... to be continued ...
Das Schlimme und Anstrengende ist auch, sich seine Aggression so verkneifen zu müssen, weil ich weiß, dass natürlich ICH die Empfindliche bin und das nur handhaben kann, wenn ich mich der Situation entziehe. Ein Sichmitteilen ist meist nicht möglich, weil es die Leute im Supermarkt einen Scheißdreck interessiert, wie ich das empfinde. Selbst meine Nachbarn, mit denen ich einen wirklich freundschaftlichen Umgang pflege, und denen gegenüber ich auch schon ansatzweise berichtet habe, können nicht nachvollziehen, wieso ich mich so vehement ihrem tollen Gedanken verschließe, im Hof einen kleinen Spielplatz zu etablieren.
Herzliche Grüße,
Michaela