In dem Buch, das ich gerade lese, habe ich gestern folgende Passage gefunden:
"O VENENO ARDENTE DO DESGOSTO. DAS GLÜHENDE GIFT DES ÄRGERS. Wenn die anderen uns dazu bringen, dass wir uns über sie ärgern - über ihre Dreistigkeit, Ungerechtigkeit, Rücksichtslosigkeit - , dann üben sie Macht über uns aus, sie wuchern und fressen sich in unsere Seele, denn der Äger ist wie ein gühendes Gift, das alle milden, noblen und ausgewogenen Empfindungen zersetzt und uns den Schlaf raubt. Schlaflos machen wir Licht und ägern uns über den Ärger, der sich eingenistet hat wie ein schmarotzender Schädling, der uns aussaugt und entkräftet. Wir sind nicht nur wütend über den Schaden, sondern auch darüber, dass er sich ganz allein in uns entfaltet, denn während wir mit schmerzenden Schläfen auf dem Bettrand sitzen, bleibt der ferne Urheber unberührt von der zersetzenden Kraft des Ärgers, deren Opfer wir sind.
Auf der menschenlleren inneren Bühne, in das grelle Licht stummer Wut getaucht, führen wir ganz allein für uns selbst ein Drama auf mit schattenhaften Figuren und schattenhaften Worten, die wir schattenhaften Feinden entgegenschleudern in hilflosem Zorn, den wir als eisig loderndes Feuer im Gedärm spüren. Und je größer unsere Verzweiflung darüber ist, dass es nur ein Schattenspiel ist und keine wirkliche Auseinandersetzung, in der es die Möglichkeit gäbe, dem anderen zu schaden und eine Gleichgewicht des Leids herzustellen, desto wilder tanzen die giftigen Schatten und verfolgen uns bis in die finstersten Katakomben unserer Träume. (Wir werden den Spieß umdrehen, denken wir grimmig, und schmieden nächtelang Worte, die im anderen die Wirkung einer Brandbombe entfalten werden, so dass nun er es sein wird, in dem die Flammen der Empörung wüten, während wir, durch Schadenfreude besänftigt, in heiterer Ruhe unseren Kaffee trinken.)
Was könnte es heißen, es richtig zu machen mit dem Ärger?
Wir möchten ja nicht seelenlose Wesen sein, die ganz und gar unangefochten bleiben durch das, was ihnen begegnet, Wesen, deren Bewertungen sich in kühlen, blutleeren Urteilen erschöpften, ohne dass etwas sie aufzuwühlen vermöchte, weil nichts sie wirklich kümmerte. Und deshalb können wir uns nicht ernsthaft wünschen, die Erfahrung des Ärgers überhaupt nicht zu kennen und statt dessen in einem Gleichmut zu verharren, der von öder Gefühllosigkeit nicht zu unterscheiden wäre. Ärger lehrt uns ja auch etwas darüber, wer wir sind. Wissen möchte ich deshalb dieses: Was könnte es heißen, uns im Ärger so zu erziehen und zu bilden, dass wir uns seine Erkenntnis zunutze machten, ohne seinem Gift zu verfallen?
Wir können gewiss sein, dass wir auf dem Sterbebett als Teil der letzten Bilanz festhalten werden - und dieser Teil wird bitter schmecken wie Zyanid - dass wir zuviel, viel zuviel Kraft und Zeit darauf verschwendet haben, uns zu ärgern und es den anderen in einem hilflosen Schattentheater heimzuzahlen, von dem nur wir, die wir es ohnmächtig erlitten, überhaut etwas wussten. Was können wir tun, um diese Bilanz zu verbessern? Warum haben uns die Eltern, die Lehrer und die anderen Erzieher nie davon gesprochen? Warum haben sie etwas von dieser gewaltigen Bedeutung nicht zur Sprache gebracht? Uns in dieser Sache keinen Kompass mitgegeben, der uns hätte helfen können, die Verschwendung unserer Seele an unnützen, selbstzerstörerischen Ärger zu vermeiden?"
Der Auszug stammt aus "Nachtzug nach Lissabon" von Pascal Mercier und ich fand, dass er den Kern dieses Threads sehr gut trifft.
Was meint Ihr dazu?