So befreiend und lustvoll das Spiel mit Dominanz und Unterwerfung auch sein kann, so riskant kann es werden, wenn man an den falschen Partner gerät. Je mehr Menschen ihre devote Seite entdecken, desto mehr häufen sich Fälle, in denen pseudo-dominante Menschen BDSM als Deckmantel missbrauchen, um ihre eigenen Machtfantasien auszuleben. Unsere Gastautorin hat eigene und andere Erfahrungen gesammelt – und sie zum Anlass genommen, ein Buch zu schreiben.
Ein Gastbeitrag von Lia Ophée
Erste BDSM-Schritte
Mein Einstieg in die BDSM-Szene ist schon einige Jahre her.
Ich ging die ersten Schritte allein, ohne Kontakte, ohne das Internet und ohne jemanden, der mir sagen konnte, wie gesunder BDSM eigentlich aussieht. Entsprechend waren meine Erfahrungen: Ich geriet an einen Mann, der mir etwas gab, das auf mich wirkte wie eine Droge. Ich wusste, dass mir diese Art der BDSM-Beziehung schadete, doch ich bekam nicht genug von ihr. Nach fünf Monaten beendete ich die Beziehung – es musste BDSM auch auf gesunde, auf erfüllende Art und Weise geben.
Damals glaubte ich noch, ich sei eine Ausnahme. Ein Einzelfall, der ausgesprochen viel Pech hatte. Dieser Eindruck hielt sich über viele Jahre – bis ich 2018 durch einen Zufall auf einen zweiten Einzelfall stieß, eine weitere Ausnahme. Eine andere junge Frau, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatte.
Mittlerweile aber war ich gefestigt, trieb mich in der BDSM-Szene herum wie ein Fisch im Wasser und hatte verstanden, worauf es ankommt – und ich hatte angefangen, darüber zu schreiben.
Das, was diese andere, junge Frau mir jedoch erzählte, verschob meinen Blickwinkel auf diese Szene, diese Welt, die ich so liebte. Ich begann, aufmerksamer zu beobachten, mehr zu hinterfragen. Und schließlich fing ich auch an, über die Schattenseiten der BDSM-Szene auf meinem Blog zu schreiben, über Missbrauchserfahrungen – meine eigenen und die anderer. Die Resonanz darauf war erschütternd.
Innerhalb weniger Tage erreichte mich eine Welle an Nachrichten von Frauen, die Ähnliches erlebt hatten: Missbrauch, Nötigung, Körperverletzungen oder Schlimmeres. Alles im Kontext von (vermeintlichem) BDSM.
Es war ein Sommerabend des letzten Jahres. Ich spürte die Striemen von der Nacht zuvor noch auf meiner Haut (mein neuer Spielpartner hatte ganze Arbeit geleistet), las einmal mehr eine solche Nachricht und spürte die Diskrepanz beinahe körperlich:
BDSM ist eine wunderbare, lustvolle Welt. Aber sie bietet eine Grundlage für pseudo-dominante Menschen, die ihre eigenen Machtfantasien ausleben wollen und dafür vor allem junge, unerfahrene Frauen (häufig auch Männer) ausnutzen, die ihrer devoten Neigung auf den Grund gehen möchten.
Und alles, was ich dachte, war:
Man müsste ein Buch darüber schreiben.
Nachdenken statt nachlesen
Ich tauschte also Gerte gegen Feder und begann zu schreiben. Um meine und die Erfahrungen anderer zu teilen – aber vor allem, um unerfahrenen, devoten Frauen einen risikobewussten Einstieg zu erleichtern. Es war nie meine Absicht, vermeintlich allgemeingültige Maximen zu formulieren oder mit einer Expertise zu sprechen, die ich nicht habe.
Ich fragte mich vielmehr: Was gibt man jenen Frauen mit auf den Weg, die noch keine BDSM-Erfahrungen haben, vielleicht nicht einmal Kontakte, keine Möglichkeiten zum Austausch? Die nicht wissen, weshalb 50 Shades of Grey sie irgendwie nicht mehr loslässt und die sich jetzt auf die Suche machen wollen nach einem dieser krawattentragenden ... "Doms"?
Nun, ich denke, man gibt ihnen Folgendes mit auf den Weg: Es gibt eben keine Schritt-für-Schritt-Anleitung, keinen allgemeingültigen Leitfaden. Es geht nicht darum, "nachzulesen, wie man Sub wird" – sondern darum, zu lernen, seinen eigenen Weg zu finden. Herauszufinden, wo die ganz persönliche Gratwanderung stattfindet zwischen Schmerz und Lust, Kink und Vorsicht, Wunsch und Realität, Rausch und Risiko.
Zwischen "vernünftig" und "unvernünftig".
Wichtig für BDSM-Einsteiger
Essenziell für diese Gratwanderung ist, sich bewusst zu machen, dass man dennoch als EinsteigerIn auf gewisse Dinge achten kann. Es sind vor allem diese Dinge, die ich versucht habe, in einem Buch zusammenzufassen. Herausgekommen ist eben kein Leitfaden, sondern eine auf zahlreichen Erfahrungen gründende Sammlung an Vorschlägen und Denkanstößen für BDSM-Einsteiger, über deren Nützlichkeit jeder selbst urteilen kann.
Natürlich sind Dinge wie Covern und das Verwenden eines Safewords eine absolute Voraussetzung, gerade für Einsteiger. Allerdings gibt es noch so viel mehr, das über die naheliegenden Sicherheitsvorkehrungen hinausgeht: Gerade im BDSM ist es beispielsweise wichtig, auf subtile Kommunikation des Gegenübers – hier also des Doms – zu achten. Ein paar Beispiele:
Die "echte Sub"
Ich erhielt eine Nachricht von einer Frau, die 19 Jahre war, als sie ihren ersten "Dom" kennenlernte. Er erklärte ihr regelmäßig, wie "BDSM funktioniert", wie „eine echte Sub" zu sein hat. Dass sie "mehr aushalten muss, wenn sie BDSM wirklich ausprobieren möchte" und dass sie sich an gewisse Regeln nun einmal zu halten habe. BDSM ist individuell, hat unendlich viele Facetten, Spielarten und Ausprägungen. Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für den Einstieg ergibt genauso wenig Sinn wie eine für den "Weg zur echten Sub" oder den "Ratgeber für die naturdevote Novizin".
Denn: Nichts davon gibt es. Es gibt kein "goldenes Buch des BDSM", keine "echte Sub", keine allgemeingültigen Regeln.
Das Triggern von Ehrgeiz
Eine andere Frau schrieb mir, sie fühle sich "ihrem Dom permanent nicht gewachsen". Unter anderem weil er sie ständig mit seiner letzten Beziehung verglich. Es fielen Sätze wie "Meine letzte Sub hat aber ..." oder "Sie wollte das am Anfang auch nicht und später hat es ihr gefallen". Andere litten unter Unsicherheiten und Problemen mit ihrem Selbstwert. Hier las ich von Aussagen des "Doms" wie "Kriegst du ihn wirklich nicht weiter rein?" oder "War’s das schon? Mehr hältst du nicht aus?".
Die Grenze zwischen Spiel und Realität
Erniedrigung und Demütigung sind beliebte BDSM-Elemente – allerdings können sie tieferen Schaden anrichten als eine Gerte. Ein "Du kleine Schlampe" ist für die meisten noch in Ordnung bis erregend. Die Grenze ist aber oft dann erreicht, wenn sich Aussagen auf die Realität beziehen – und eben nicht auf den Spielkontext. Auf das Aussehen, "Fähigkeiten" bei Sex-Techniken oder das Vermögen, Schmerz auszuhalten.
Häufig sind es solche Aussagen und unterschwellige Botschaften, die devote Menschen dazu bringen, noch weiterzugehen. Zuzulassen, dass Grenzen überschritten werden und man sich anschließend fragt, weshalb man das eigentlich zugelassen hat. Dieses Gefühl ist es, welches die Schwelle von BDSM zum Missbrauch darstellt.
BDSM: Regeln für den Regelbruch
Jeder von uns hat moralische Grundregeln wie "Man(n) schlägt Frauen nicht." oder "Man behandelt Menschen mit Respekt."
Sobald man feststellt, dass diese Regeln in bestimmten, abgesprochenen Kontexten nicht mehr gelten, dass manche Frauen innerhalb eines gewissen Rahmens durchaus geschlagen werden wollen, dass es manche Menschen sexuell erregt, gedemütigt zu werden, befindet man sich an der Schwelle zur Welt des BDSM.
BDSM lebt vom Regelbruch. Davon, in einem einvernehmlichen Rahmen diese moralischen Regeln zu brechen. Allerdings gibt es durchaus Regeln, die man einhalten kann, damit eben dieser Regelbruch nicht außer Kontrolle gerät. Es ist dieses ständige Paradoxon, von dem BDSM lebt: Es geht um kontrollierten Kontrollverlust, geregeltes Regelbrechen.
Vernünftig Unvernünftig
Mein Rat an Menschen, die diese Neigung an sich entdecken: Geht ihr auf den Grund! Aber behandelt BDSM (gerade in Zeiten von 50 Shades of Grey) nicht nur wie einen außergewöhnlichen Lifestyle, den man bedenkenlos ausprobieren kann, sondern vielleicht eher wie ... eine Art Extremsport. Informiert euch über die Risiken, tauscht euch mit anderen aus, werdet euch vor allem jener Gefahren bewusst, die möglicherweise eine eurer persönlichen Schwachstellen triggern, und überlegt euch gut, welche der vielen Abzweigungen am besten zu euch passt. Lasst euch auf das Unvernünftige ein.
Aber eben ... vernünftig.
Wer Lia Ophée auf Twitter folgen möchte, tut dies unter: Ophelia. Zu ihrem Buch "Vernünftig Unvernünftig" geht es hier entlang und das ist ihre Autoren-Homepage.