Ich habe mich sterilisieren lassen. Der Grund für meine Vasektomie? Ein letztlich anderer, als noch beim ersten Gespräch darüber mit meiner Frau. Denn in diesem einen Jahr ist eine Menge Bewegung in meine 20-jährige Ehe gekommen. Über einen kleinen Schnitt für mich, aber einen großen Schritt für meine Beziehung.
Von Pseudo_ich | Illustrationen: Maria Scholz
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Die Veränderung
Im September 2019 bemerke ich Veränderungen an meiner Frau. Susan ist lebendiger und offener. Vor allem im Bett. Wir machen Sachen miteinander, die wir seit Jahren nicht mehr angestellt haben und probieren gänzlich neue Praktiken. Wir tauschen uns sogar freimütig über unsere Fantasien aus. Neuland!
Woher diese Veränderungen kommen? Jede Frau, die das liest, hat wahrscheinlich eine recht klare Idee, was da vor sich geht. Bei mir will der Groschen nicht fallen. Ich genieße naiv, statt kritisch zu hinterfragen.
Wir sind seit Mitte der 1990er zusammen und seitdem die Einzigen füreinander. 25 Jahre Exklusivität. Um die Jahrtausendwende haben wir geheiratet, in den darauf folgenden Jahren zwei Kinder bekommen und die Kinderplanung abgeschlossen. Wir haben beide noch nie mit einer anderen Person geschlafen.
An einem Morgen im Oktober dann die Bad-Situation, in der der Groschen endlich fällt und einen Einschlagskrater in meinen Gedanken hinterlässt. Ich öffne die Badtür und sehe, wie Susan hektisch ihr Smartphone verstaut. Sie grinst mich an und fragt: "Was denn?" Halb verlegen, halb herausfordernd. Ich bin irritiert, so kenne ich sie nicht, da ist etwas im Busch. "Ja, was denn?", gebe ich ihre Frage zurück.
Das Geständnis
Sie scheint erleichtert und beginnt zu erzählen. Ein Mann hat ihr Avancen gemacht. Sie hat ihm ihre Nummer gegeben. Der Beginn eines nun schon Wochen währenden expliziten Sex-Chats.
Der schmutzige und komplimentreiche Austausch hat ihren Marktwert neu taxiert, ihr das Gefühl gegeben, begehrt zu werden, ihr eine Sichtbarkeit als attraktive Frau verliehen. Ich kann ihr nicht verübeln, nach 25 Jahren Beziehung für diese Avancen empfänglich zu sein.
Trotzdem. Ein Schock. Wie die Sekunden, nachdem man geblitzt worden ist. Mir zieht es die Beine weg. Ich friere. Muss mich setzen.
Wir öffnen unsere Beziehung
Nachdem meine Bestürzung sich gelegt hat, tauschen wir uns nun noch intensiver aus. Über uns. Unsere Lust. Unsere Fantasien. Unsere Beziehung. Nach vielen ausführlichen und schonungslosen Gesprächen über Wochen hinweg, manche davon tränenreich, entscheiden wir uns etwa drei Monate nach der Bad-Situation dazu, unsere Beziehung für Sex mit anderen zu öffnen.
Sie wünscht es sich. Ich will sie glücklich sehen. Und bin selbst gegenüber Sex mit Dritten nicht abgeneigt. Nur Sex. Kein Kaffeetrinken. Keine Freundschaft Plus. Sobald sich Gefühle ankündigen, wollen wir unverzüglich den Kontakt mit der dritten Person abbrechen. Ob das dann wirklich so einfach ist?
Wir sind uns so nahe wie seit vielen Jahren nicht mehr. Sie möchte mit ihm schlafen. Kurze Zeit später hat sie ihr Sex-Date mit ihm.
Mein erstes Mal mit einer anderen Frau lässt bis April auf sich warten. Es ist gut, aber auch auswärts wird nur mit Wasser gekocht. Für mich gilt: Sex mit anderen Frauen ist belebend. Mit meiner Frau ist der Sex am schönsten.
Eine Vasektomie?
Susan hatte vor Monaten schon einmal eine Vasektomie ins Spiel gebracht. Hintergrund damals: die körper- und wesensverändernden Nebenwirkungen der Pille. Jahrzehntelang schulterte Susan die Last der Verhütung alleine – wie die meisten Frauen –, und das mit all den einhergehenden Belastungen.
Die Idee einer Vasektomie war sowohl naheliegend als auch nachvollziehbar. Kurz musste ich in diesem Gespräch an unseren Kater Felix denken, der nach seiner Sterilisation ruhiger und verschmuster geworden war. Susans Vorstoß versandete indes bald im Alltag.
Die offene Beziehung stößt die Option einer Vasektomie nun unter anderen Gesichtspunkten neu an. Das denkbar schlechteste Szenario: Sie wird schwanger von einem Dritten bzw. ich schwängere wider Willen eine Dritte. Wir wollen zusätzlich zum Kondom eine weitere Sicherheit, da wir schon mehrere Kondomplatzer miteinander hatten. Für Susan ist das Absetzen der Pille vor dem Hintergrund der offenen Beziehung keine Option mehr. Sie fragt, wie ich mittlerweile zu einer Vasektomie stehe. Keine zwei Wochen später sitzen wir vor einem uns empfohlenen Urologen und lassen uns beraten.
47,3 % der Männer können sich eine Vasektomie für sich vorstellen. Ein Drittel der Männer über 45 ist bereits sterilisiert.
Das Vorgespräch
In völlig entspannter Atmosphäre folgen wir an einem Donnerstagmorgen den Ausführungen des Arztes. Es ist auf angenehme Art ein Verkaufsgespräch. Unseren Grund für die Vasektomie – Verhütung vor dem Hintergrund einer offenen Beziehung – bringe ich nicht an. Ich traue mich nicht. Das vermeintliche Absetzen der Pille muss als Grund herhalten.
Der Arzt erzählt von seiner jahrzehntelangen Erfahrung und hat laut eigener Aussage allein in diesem Jahr bis Juli schon 100 Vasektomien durchgeführt. Er führt mich durch das Operationsprozedere und schildert den Zielzustand: Spermien werden nach der Vasektomie weiterhin produziert, gelangen aber nicht ins Ejakulat. Der Körper baut sie innerhalb des verödeten Samenleiters ab. Spermien machen ohnehin weniger als ein Prozent der Ejakulatsflüssigkeit aus. Ich habe dann quasi noch Munition – wenn auch nur noch Platzpatronen.
Effektiv trocken bin ich erst ein paar Monate nach dem Eingriff. Ein Faktor dabei ist, wie oft nach der OP durchgespült wird, sprich: wie oft ich komme.
Abschließend klärt er mich über die Risiken und deren Eintrittswahrscheinlichkeit auf: von Narkoseunverträglichkeit über Hämatome bis Hodenverlust. All das ruhig, abgeklärt, sicher. Den lasse ich gerne mit einem Schneidewerkzeug zwischen meine Beine. Susan und ich nicken uns gen Ende des Gesprächs zu, wie wir es sonst vor dem Kauf eines Autos getan haben. Hier ist es zwar eher das Pimpen eines Gebrauchten als der Kauf eines Neuwagens, aber: Klingt gut, fühlt sich richtig an, machen wir.
Wir legen den nächsten Dienstag als OP-Termin fest. Vier Tage also bis V-Day.
Der V-Day!
Bevor mich Susan am Vormittag zum OP-Zentrum fährt, rasiere ich mir gründlich meinen Intimbereich. Bettzeug, Hausschuhe, Schlafanzug und eine Flasche Wasser, das sind die Utensilien, die ich mit mir führe. Nach einem Zwischenstopp am Empfang folgt ein kurzes abschließendes Gespräch mit dem Anästhesisten – den ich bar bezahle. Es fühlt sich ein wenig illegal an.
Eine Schwester führt mich auf ein Zweibettzimmer, auf dem ich heute alleine liegen werde. Ich beziehe das Bett, schlüpfe in den Schlafanzug und gebe meiner Frau die voraussichtliche Abholzeit durch: zwischen 15:30 und 16 Uhr. In etwa fünf Stunden.
Eine halbe Stunde darauf schieben mich zwei außerordentlich gut gelaunte Schwestern vor die Tür des OP-Saals. Ich werde gebeten, in den OP-Saal zu laufen, mich zu entkleiden und auf den OP-Tisch zu legen. Im Raum sind der Anästhesist, mein Arzt und eine der Schwestern. Na dann macht mal, denke ich zwischen Neugier und Ungläubigkeit. Ich werde sterilisiert!
Die Schwester schnallt mich fest, der Anästhesist legt eine Flexüle in meinen linken Arm. Die Uhr an der Wand sagt 12:26 Uhr. Mein Blick schliert leicht, ist das ...
- Blackout -
Ich wache auf. Fühle mich gut. Kein Schwindelgefühl. Keine Schmerzen.
Nach einem ersten Taxieren meines Körpergefühls beschleicht mich ein erster Zweifel: Bin ich überhaupt operiert worden? Ein Blick in die Hose beruhigt mich. Beide Seiten des Hodensacks zieren Wundpflaster. Nun mache ich, was mir über meine XY-Chromosomen als Zwangshandlung eingeschrieben ist: Dick Pics. Das wird ein eigenes Kapitel im Familienalbum.
Beim ersten Wasserlassen fühle ich ein leichtes Zwicken an der Wunde. Mehr nicht. Ich schreibe meiner Frau, dass die OP schief gelaufen ist und ich die Hoden verloren habe. Sie durchschaut den Bluff. 20 Jahre Ehe töten die besten Scherze.
Der Arzt inspiziert sein Werk und ist zufrieden. Ich darf nach Hause und schlüpfe in meine knallenge Unterhose. Die ist in den nächsten 14 Tage Pflicht, um meine Hoden zu stützen.
Ich rufe meine Frau an, kurz darauf sitzen wir im Auto. Ich auf dem Beifahrersitz. An einer Ampel beginnt sie unvermittelt, an ihren Brüsten herumzuspielen, sich abzugreifen und im Schritt zu streicheln. Mit einem herausfordernden Grinsen und gespielter Laszivität. Ich tue Unerhörtes: Ich bitte sie inständig darum, aufzuhören.
Aber ihr Funktionstest meiner Schritthydraulik hat Wirkung gezeigt. Jubilate! Alles noch funktionstüchtig.
92,9 % der befragten Frauen wünschen sich, dass die Männer mehr Verantwortung in puncto Verhütung übernehmen. 42,2 % haben bereits mit ihrem Mann über eine Vasektomie gesprochen.
Die Wochen nach der Vasektomie
Am nächsten Tag spüre ich nahezu keinen Schmerz mehr an den Schnitten. Meine Hoden fühlen sich indes schwerer an, sie sind spürbarer, mit einem leicht schmerzlichen Unterton, als hätte ich einen Tritt verpasst bekommen.
Die angenehmste Schlafposition ist auf dem Rücken liegend. Dabei stabilisiere ich meinen Hodensack mit den Oberschenkeln. Weniger angenehme ist das Sitzen: Ich muss immer wieder die Position wechseln, um dem leichten Ziehen zu entgehen. Gerne würde ich duschen, was mir untersagt ist. Wegen der Pflaster und einer eventuellen Verunreinigung der Wunde. Dann halt Katzenwäsche.
Gen Mittag fährt mich Susan zur Nachuntersuchung in die Praxis. Der Arzt nimmt die Pflaster ab, desinfiziert die OP-Wunde und legt neue an. Sieht alles gut aus, meint er. Zwei Becher bekomme ich mit auf den Weg. Für Ejakulatsproben. Einmal vier und einmal acht Wochen nach der OP. Um zu prüfen, ob noch Spermien enthalten sind oder ich trocken bin.
Zwei Tage nach der OP darf ich die Wundpflaster lösen und endlich wieder duschen. Ich entscheide mich sogar für die große Lösung und lasse mir ein Bad ein. Dort begutachte ich die Wunden: Rechts ist kaum etwas zu sehen, links ist die Wunde ein wenig prominenter.
Das Fehlen der Pflaster macht sich außerhalb der Badewanne sofort bemerkbar. Die Unterhose reibt an den Wunden. Ich unterlaufe den ärztlichen Rat, verzichte nachts auf enge Unterhosen und schlafe nackt. Ohne Nebenwirkungen oder Schmerzen.
An Tag drei haben Susan und ich erstmals wieder Geschlechtsverkehr. Sachte. Von Praktiken, bei denen die Hoden applaudieren, sehen wir ab. Danach, das wird auch in den kommenden Wochen der Fall sein, spüre ich die vorangegangene Beanspruchung dennoch recht deutlich.
Die kommenden Wochen nutze ich artig zum Durchspülen. Je mehr Orgasmen ich habe, desto höher ist die Chance, dass ich bei der ersten Ejakulatsprobe spermienfrei bin. 20 bis 25 Samenergüsse sind dazu nötig. Meine Frau steht mir in dieser enorm schweren Zeit selbstlos bei. Die Heirat hat sich spätestens jetzt amortisiert.
Mitte August dann die erste Probe. Mein Ejakulat ist spermienfrei. Bevor ich auf ein Kondom verzichten dürfte, sollte allerdings auch die zweite Probe negativ ausfallen. Das Urteil Mitte September: keine Schwimmer mehr. Die nächste Kontrolle ist auf ein Jahr danach angesetzt, da es zu einer Rekanalisierung des Samenleiters kommen kann.
92,2 % der sterilisierten Männer berichten von gelösten Blockaden und mehr Lust auf Sex.
Vasektomie: Blockade und Erkenntnis
In meiner Vorbereitung auf die Vasektomie habe ich in Erfahrungsberichten immer wieder von gelösten Blockaden im Kopf gelesen, die zu freierem, besserem Sex geführt haben. Das ist bei mir bisher ausgeblieben. Das mag zum einen daran liegen, dass ich mit Susan ohnehin immer unbeschwerten Sex hatte. Zum anderen weil die außerehelichen Abenteuer erst seit kurzem Teil unseres Sexlebens sind und gerade ich mich in dieser Art der Beziehung noch finden muss.
Körperlich fühle ich kaum einen Unterschied zu vorher. An den Stellen der Eingriffe sind noch erbsengroße Verhärtungen zu spüren, die laut meines Arztes mit der Zeit weicher werden. Ich bin an den Hoden berührungsempfindlicher und verspüre nach intensiverem Sex eine Art Muskelkater im Schritt. Darüber hinaus bin ich zufrieden mit meiner Vasektomie, dem Verlauf, der Nachsorge, dem Resultat.
Was ich als das für mich Wichtigste erfahren habe: ohne Muffensausen oder leise Zweifel hinter der grundsätzlichen Entscheidung zu stehen. Das ist die wirksamste Prophylaxe gegenüber potentiellen psychischen Nebenwirkungen.
Nur eine Facette auf dem Weg zur Vasektomie hat eine Zeitlang an mir genagt: dass ich die Entscheidung pro Vasektomie nicht früher für meine Frau gefällt habe, als es darum ging, ihr die Bürde der Verhütung zu nehmen.
Dieser Hauch von Reue hat sich mittlerweile gelegt. Was vor allem daran liegt, dass Susan glücklich ist. Sie genießt die offene Beziehung, blüht darin stärker auf, als ich es tue. Ist das einfach nur aufrichtige Liebe? Oder bin auch ich nach meiner Vasektomie ruhiger und verschmuster geworden?
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Buchinformationen:
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Herausgeber: Ullstein Hardcover
208 Seiten
Hardcover: 18,99 EUR
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ISBN: 978-3550202605
Was passiert bei einer Vasektomie?
- Die Hoden bilden die Spermien. Von dort gelangen sie bei einer Ejakulation über die Nebenhoden und die Samenleitern in die Harnröhre. Bei einer Vasektomie bzw. Vasorektion durchtrennt der Arzt im Hodensack auf beiden Seiten die Samenleitern. Danach schlägt er die Stränge um und verschließt sie mittels einer Naht oder verödet sie mit Strom.
- Die OP erfolgt meist ambulant, kann aber auch wie im Erfahrungsbericht mittels Vollnarkose geschehen. Ob der Eingriff mit Skalpell oder durch eine minimal-invasive Punktierung des Hodensacks vorgenommen wird, ist vom Arzt abhängig.
- In Intervallen wird nach der OP das Ejakulat auf Restspermien hin untersucht. Herkömmlich ist das Ejakulat nach zwei bis drei Monaten spermienfrei.
- Eine Vasektomie wieder rückgängig zu machen, heißt Refertilisierung. Sie gelingt nicht in allen Fällen.
- PS: Eine Vasektomie dient der Verhütung, nicht der Infektionsprävention.
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