Das hätte sich Olli nicht gedacht, dass er eines Tages mal der einzige noch regelmäßig filmende Porno-Produzent Münchens sein würde. Als sich Konkurrent John Thompson im August letzten Jahres aus der Bayern-Metropole nach Berlin verabschiedete, war es dann soweit. In der einstigen Porno-Hauptstadt München hält Olli nun die Stellung.
Ich treffe ihn für mein Buch "Porno in Deutschland – Reise durch ein unbekanntes Land" in seinem kleinen Filmstudio auf dem Gelände eines innerstädtischen Gewerbeparks bei einem Gangbang-Porno-Dreh.
Autor: Philip Siegel
Porno nach Schema F? Dreharbeiten für eine Gangbang-Episode
Der dicke Mann in schwarzer Hose, schwarzem T-Shirt und mit der Videokamera in der Hand bewegt sich überraschend leichtfüßig zwischen den nackten Körpern bei der Suche nach dem, was für die besten Bilder taugt, und allein diesem Zweck dienen auch seine Anweisungen:
"Hans, komm mal her und steck ihn ihr in die schöne Muschi. Dieter und Klaus, ihr habt doch sicher noch was übrig für ihren Mund!"
Sascha Lahaine, die Darstellerin, greift nach den beiden Schwänzen und leckt sie abwechselnd. Der Mann, der hier die Kommandos gibt, beugt sich leicht vor und geht mit der Kamera bis auf einen halben Meter ran.
"Das ist gut, das macht dich geil!", sagt er. Hans spritzt ab. Etwas zu früh. Die ganze Sache hat doch gerade erst angefangen. Hans zieht sich zurück und ein anderer Mann nimmt seinen Platz ein.
Am Pornoset sind alle Männer gleich … und vor allem nackt
Es ist Freitagabend, kurz vor halb acht. In dem hell erleuchteten, fast steril wirkenden Filmstudio hat sich eine Gruppe von sieben Männern um die zierliche Porno-Darstellerin Sascha Lahaine versammelt und versucht, unter grellem Scheinwerferlicht versaut zu sein. So richtig will das noch nicht klappen.
"Es sind nur sieben Typen gekommen, angekündigt hatten sich mehr. Aber es ist heiß draußen, und das hält viele ab. Je mehr kommen, umso besser die Stimmung", meint Olli, Kameramann, Regisseur und Produzent in einer Person.
Die Männer, die heute gekommen sind, kennen sich aus. Sie sind Amateure, Hobbypornografen, immer wieder, nämlich dann, wenn Olli sie anruft für einen neuen Dreh. Ganz normale Männer – der eine mit kleinem Bauch, andere locker über 40, ein Student ist auch dabei mit Kinnbärtchen und Zopf, ein anderer hat sich eine Strumpfmaske übergezogen, er will nicht erkannt werden.
"Einige von denen sagen ihrer Freundin, sie gingen zum Sport. Die kommen dann hier mit ihrer Tasche an und machen das, was sie zu Hause nicht dürfen. Zum Beispiel, der Frau mal in den Mund spritzen", meint Olli. Ein Kioskbesitzer, Bauarbeiter, Studenten, ein Busfahrer. Als hätte man in einer Kneipe zufällig ein paar herumstehende Männer eingesammelt und hierher gebracht. So durchschnittliche Typen eben. Ich merke das an der Art, wie sie sich unterhalten: Keiner hält sich für was Besonderes. Nackt vor der Kamera sind alle gleich. Die Kleidung ist weg, und damit, so scheint es, auch der soziale Unterschied.
Von "Videorama" zu "Magma" … Stationen einer Karriere
Olli ist ein geradliniger Typ. Ein richtiger Brocken. Ein Mann, der mich, den Journalisten, den Eindringling, den Besucher, ohne Vorbehalte empfängt, mit mir über alles redet, der mich bei seinen Porno-Dreharbeiten zusehen und Fotos machen lässt – in dieser fast geruchlosen Filmstudio-Kulisse mit dem Estrichboden.
Als Journalist bin ich vielen Menschen aus den unterschiedlichsten Branchen und sozialen Bereichen begegnet, habe mit ihnen über den Beruf, ihre Probleme gesprochen, sie zu ihrer Motivation, ihren Sorgen befragt. Aber nur sehr wenige sind mir mit einer derartigen Offenheit begegnet wie dieser Mann, der in seinem Filmstudio auf dem kleinen Gewerbepark an der Gmunder Straße in Obersendling mitten in München seit Jahren Pornos dreht und es inzwischen auf über 200 Filme gebracht haben dürfte – so genau weiß er das selbst nicht mehr.
Bei der Essener Firma "Videorama" hat er mit seinen Gangbangs angefangen, später dann ist er zu "Magma" gewechselt. "Gang-Bang-Schlampen" heißt seine Serie, die es inzwischen auf mehr als zwei Dutzend Folgen gebracht hat. Alle paar Monate bringt er unter dem "Magma-Label" eine neue Folge heraus – mit vier bis fünf Gangbangs auf einer DVD. Andere seiner Titel heißen: "Extrem belastbare Fotzen", "Durchgefickt vom S.E.K (Sperma-Einsatz Kommando)", "Reife Grotten im Härtetest", "Ollis Ghetto-Fotzen", "Blinde Kuh".
Der deutsche Porno verstärkt die augenblickliche Krise
"Wenn du jetzt 1000 DVDs von einem Film verkaufst, bist du der König. Es wird wohl den Bach runtergehen, weil die deutschen Firmen nicht erkennen, was Sache ist." Wobei jetzt die Branche selbst die Misere noch verstärke, meint Olli. "Firmen wie 'Magma' oder 'Videorama' sparen an allen Ecken. Die wärmen alte Sachen auf und hoffen, dass es die Kunden und die Videotheken nicht merken. Aber natürlich merkt es jeder, wenn er einen Zusammenschnitt bereits gedrehter Szenen sieht. Und die Kunden bleiben aus."
Die Konsequenz aus der Krise: Hinwendung zum Amateurporno
Olli hat die Konsequenzen gezogen. Neben seinen Filmen, die er für die großen Firmen dreht, geht er in den Amateur-Bereich. Wie andere auch hat er auf der Webseite mydirtyhobby.com sein eigenes Portal. Es gibt Frauen, so erzählt er, die rufen bei ihm an, weil sie es mal vor der Kamera machen wollen. Die lädt er ein, dann fickt er sie, auch schon mal mit einem Freund, und stellt die Clips auf die Seite.
"Das läuft dann unter 'Amateur'", meint Olli. "Die Frauen wissen, was mit den Filmen geschieht. Manche rufen auch nur an, kommen dann aber nicht. Für die ist schon der Anruf thrill genug. Das bringt die in Wallung, aber zum Dreh tauchen sie ab. Vertane Zeit."
Die Darsteller treffen am Pornoset ein
Sascha Lahaine sitzt vor dem Schminkspiegel im hinteren Teil des Studios in einem abgetrennten Bereich und brezelt sich auf. Die Haare bekommen Volumen verpasst, die Wangen werden geschminkt. Sascha macht heute auf gothik. Schwarze Schuhe mit hohen, bleistiftdünnen Absätzen, schwarze Sonnenbrille, ein enges, schwarzes T-Shirt: ein Porno-Punk.
Sascha ist eingesprungen für die Darstellerin, die abgesagt hat. Die hat Chlamydien, eine bakterielle Erkrankung der Schleimhäute, die im Genitalbereich auftritt, sich aber gut mit Antibiotika behandeln lässt. Für Darstellerinnen reichen bei Olli HIV- und Hepatitis-C-Tests nicht aus, er verlangt zudem Tests auf Chlamydien und Syphilis. Saschas Ergebnisse sind okay.
Kurz vor dem Dreh wird jeder fotografiert. Dazu halten die Männer die Einverständniserklärung, den Personalausweis und die aktuelle "Playboy-Ausgabe" in die Kamera. Olli kann so jederzeit nachweisen, dass alle Teilnehmer zum Zeitpunkt der Dreharbeiten volljährig waren. Die Unterlagen schickt Olli mit den Videobändern zur Vertriebsfirma "Magma", wo sie gelagert werden, um bei Weiterverkäufen dann an den neuen Rechteinhaber überzugehen.
Bürokratie, Verwaltungsvorgänge, Archivierungsarbeit, Verträge, die unterzeichnet werden, Tests, die gemacht und gelagert werden, und dann der hemmungslose, ungezügelte, versaute Sex: Pornografie und Bürokratie, das geht nicht, muss aber gehen. Und es ist nicht nur notwendig, sondern offenbar auch hilfreich, bisher jedenfalls gab es in Deutschland in der Porno-Branche noch keinen bekannten Aids-Fall. Das sagen die, die Pornos machen. Und niemand hat bisher das Gegenteil behauptet.
Der Gangbang Pornodreh beginnt …
Bevor es losgeht, bestimmt Sascha die Regeln. Sie spricht zu den Männern: "Wer bei mir im Arsch war, geht sich erst waschen und desinfiziert sich den Schwanz, bevor er ihn mir in den Mund steckt. Und wenn ich leicht den Kopf schüttle, dann heißt das: jetzt nicht mehr, bitte zieh dich zurück."
Olli wartet bereits mit der Kamera. Er hat sich was ausgedacht. Seine Anweisung: Sascha steht in dem kahlen Studio, angestrahlt von den Scheinwerfern, schwingt lustlos einen Besen und beklagt sich über die Putzarbeit.
"Jetzt wären ein paar richtige Kerle nötig", meint sie, und prompt betreten die sieben Männer die Szenerie, alle nackt, zum Teil mit steifem Schwanz, einer nimmt ihr den Besen ab – und los geht's! Olli dirigiert die Männer, sieht, wenn einer nicht mehr richtig kann, ruft einen anderen herbei, motiviert, treibt an, und Sascha, die ahnt, welche Perspektiven Olli braucht, versucht ihrerseits, die Männer zu arrangieren, und feuert sie an, heftiger ranzugehen.
Olli macht jetzt kleine Witze, versucht die noch verhaltenen Männer in Stimmung zu bringen. Und Sascha gibt sich alle Mühe, Lust, Gier, Ausschweifung für die Kamera darzustellen und damit dem zukünftigen Betrachter zu vergegenwärtigen. Olli ist in seinem Element.
"Okay, ich brauch jetzt hier den Bernd. Hab erst 23 Minuten im Kasten. Müssen noch was zulegen. Erst in den Arsch. Und dann noch einer in die Muschi. Drei Minuten DP (double penetration, also anal und vaginal), ich brauch noch einen für den Mund. Und jetzt machen wir ein paar Standfotos. So bleiben, bitte!"
Nach einer halben Stunde ist Pause. Sascha reibt sich die Arschbacken. Ausatmen. Es wird Wasser getrunken. Ein paar Männer lassen sich in der Sofaecke nieder. Olli schiebt einen Film ein, einen Porno, den er selbst gedreht hat. Das soll die Mannschaft aufgeilen. Der Porno also, der vor ein paar Monaten hier an demselben Ort gedreht wurde, soll nun dazu führen, dass die Beteiligten besser in Stimmung kommen. Irgendwie auch absurd, und wenn das so weitergeht? Dass der Porno, der jetzt gedreht wird und für den die Männer jetzt aufgeheizt werden, in absehbarer Zeit auch in den DVD-Player geschoben wird, um wiederum die dann antretende Gruppe zu animieren?
Porno und das Problem der Sichtbarmachung …
Bei Olli fällt es mir auf: Pornografie hat immer mit dem Problem der Sichtbarkeit, der Sichtbarmachung zu kämpfen, denn während der Orgasmus des Mannes sich für die visuelle Darstellung hervorragend eignet, entzieht sich der weibliche Orgasmus der Darstellbarkeit.
Man möge mir den kleinen Exkurs an dieser Stelle verzeihen, aber ausgerechnet Frauen haben zu diesem grundsätzlichen Problem der Pornografie interessante Gedanke geäußert. Die Soziologin Gertrud Koch hat es so formuliert: "Der Ausdrucksmangel des naturalistischen pornografischen Films muss mit Notwendigkeit vor seinem Ziel, den geheimen Ort der Lust der Frau zu schauen, haltmachen."
Ist der Orgasmus beim Mann sichtbar, versinkt er bei der Frau ins Reich der Mutmaßung. Die Feministin und Filmtheoretikerin Linda Williams führt den Gedanken weiter: "Bei der weiblichen sexuellen Lust erweist sich das Prinzip der maximalen Sichtbarkeit als unzulänglich. Anatomisch findet der Orgasmus der Frau an einem 'unsichtbaren Ort' statt, der nicht so einfach sichtbar zu machen ist. (...) Die treibende männliche Fantasie hinter dem harten Porno lässt sich also beschreiben als der (unmögliche) Versuch, diese visuelle Besessenheit, diesen Wahn der Sichtbarmachung auf den weiblichen Körper anzuwenden, dessen orgasmische Erregung nie objektiv gemessen werden kann."
Als Folge des Mangels der Beweisbarkeit weiblicher Lust, verlagert sich das Interesse des Betrachters dann auf Indizien. Wie gierig ist ihr Blick? Ist das Stöhnen überzeugend? Sind die Bewegungen unkontrolliert oder verraten sie sich durch darstellerische Effizienz? Ist das Lachen echt? Der Blick glasig?
Ist dieses Körper- Arrangement von Olli also letztendlich sogar nur Ausdruck des Unvermögens, das Unsichtbare abbilden zu können? Verbirgt sich hinter seinem geschäftsmäßigen Auftreten und den ewigen Porno-Wiederholungen seiner Serie dann doch nur Hilflosigkeit?
Und teilt der Betrachter, der sich immer wieder auf die Suche nach dem Echten macht, nicht letztlich diese Hilflosigkeit? Vielleicht kann man das an den "Gang-Bang-Schlampen" ganz gut erkennen: Dass sich die gelungenste Pornografie immer noch da abspielt, wo kein Objektiv hinein zu schauen vermag – im Kopf des Betrachters.
Das Bemühen, den Riss zwischen Realität und Fantasie aufzuheben, mündet in der Feststellung, dass Pornografie davon lebt, immer nur Annäherung, aber nie Erfüllung zu sein. Gibt es deshalb Porno, weil er verspricht, was er gar nicht halten kann? Nämlich die Lust der Frau sichtbar zu machen?! Da die Lust der Frau offenbar als Mysterium erscheint, muss sie immer wieder aufs Neue verhandelt werden.
Die Schwäche des starken Geschlechtes und Drehschluss
Olli hat mich den Männern als anzulernenden Kameraassistenten vorgestellt. Wüssten sie, dass ich hier bin, um ein Buch über sie und alles andere hier zu schreiben, wären sie womöglich gehemmt, meint Olli. "Männer sind vor der Kamera viel unbeholfener und unsicherer als man meinen könnte, die Angst zu versagen ist ausgeprägt, immer da. Im Film kommen die Männer als der aktive, manchmal auch aggressive Typ rüber, davon lebt Porno, in Wirklichkeit fällt es vielen schwer, die Frau richtig durchzuvögeln."
Der Dreh steuert auf seinen Höhepunkt zu. "Abspritzen", meint Olli. Er gibt seiner Darstellerin die dünne Glasplatte, die er aus einem Bilderrahmen entfernt hat. Die hält sie sich unter das Kinn. Die Männer gruppieren sich um die Frau und spritzen das Sperma auf die Platte. Sascha leckt es unter stöhnenden Jauchzern auf. Der Mann mit der Maske hat sich nun den Strumpf abgezogen. Er steht hinter der Kamera und lacht – ungläubig, verlegen? Das kennt er nur aus Pornos, die Frau, die das Sperma von sieben Männern aufleckt, und jetzt ist er dabei, und es ist wirklich so! Und doch auch wieder nicht.
Alles vorbei. Alles im Kasten. Sascha wischt sich den Rest mit Zewa aus den Mundwinkeln. Die Männer ziehen sich zurück. Ins kleine Bad. Sie waschen sich. Kurz darauf, Sascha bei Olli im Büro. Sie findet, dass die Männer heute nicht so richtig bei der Sache waren. "Zu verhalten, kaum einer ist so richtig an mich rangegangen."
Es gefällt ihr, sagt sie, von mehreren Männern genommen zu werden. Privat sei das schwierig. "Da weiß man nie, an wen man gerät." Sie benutzt den Porno so, wie der Porno sie benutzt. Sascha ist 21, Erzieherin wollte sie werden, jetzt verdient sie ihr Geld mit Gelegenheitsjobs. Und immer mal wieder dreht sie Pornos. Seit drei Jahren geht das so.
Verhandelt wird bei Olli immer nach dem Dreh. Was genau er Sascha heute zahlt, will er nicht verraten. "Es geht immer um den Bereich von 400 bis 700 EUR." Als sich Sascha verabschiedet, scheint sie zufrieden. Sie umarmt mich zum Abschied, gibt mir einen Kuss auf die Wange und wünscht mir viel Glück bei meinen Recherchen. Im Gegensatz zu den erschöpften Männern wirkt sie geradezu locker und gut gelaunt.
Der Mythos vom ausgenutzten Pornostar
Olli sitzt an seinem überladenen Schreibtisch und fummelt an der Videokamera herum. Man hört immer wieder, Porno-Darstellerinnen würden ausgenutzt, seien in der Kindheit misshandelt worden, sage ich. Olli beschriftet die Bänder.
"Es gibt Frauen, die Vorurteile bestätigen, die saufen, die Drogen nehmen, verwahrlosen", meint er. "Die hauen die Kohle sofort auf den Kopf und vergessen dabei die Kinder daheim. Aber solche Frauen sind die Ausnahme. Die, die zerbrechen, würden das auch ohne Porno tun. Porno ist nicht die Ursache, allenfalls ein Verstärker. Ein Porno ist dann gut, wenn ich merke, dass die Frau wirklich dabei ist. Würde ich der Frau drohen, erzeugte ich das Gegenteil."
Olli macht das Licht aus. Er tritt aus dem Büro ins leere Studio. Das grelle Scheinwerferlicht ist gelöscht, die Porno-Aufführung vorbei. In ein paar Wochen dreht er die nächste Szene. Die meisten Männer von heute werden wieder dabei sein und eine neue Darstellerin. Er fährt mich noch zur nächsten U-Bahn Haltestelle.
Das war der Porno-Dreh an der Gmunder Straße, von halb acht bis um 22 Uhr nachts. Sex für die Kamera ist anders. Die meisten Männer wirkten nicht so, als wäre es ihnen leicht gefallen. Später erfahre ich dann, dass Olli inzwischen einen Teil seines Studios vermieten musste.
© Philip Siegel
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