Harry S. Morgan galt als eine der letzten großen Koryphäen des deutschen Pornos. Philip Siegel besuchte die Pornoregielegende bei einem seiner letzten Drehs mit Vivian Schmitt und Porno-Klaus. Seine Erlebnisse verarbeitete er in seinem Buch "Porno in Deutschland" und erlaubt uns einen Blick hinter die Kulissen.
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Harry S. Morgan vs. Michael Schey
Ich hatte die Gelegenheit, Harry S. Morgan mehrmals zu treffen. Einmal bei Dreharbeiten zu einem Vivian-Schmitt-Film, für mein Buch Porno in Deutschland – Reise durch ein unbekanntes Land. Tatsächlich hieß der Mann, der Ende April in seiner Wohnung leblos aufgefunden wurde, Michael Schey. Aber für fast alle, die in der Branche arbeiten, war er Harry. Und für seine Fans war er das erst recht. Und mir scheint, er selbst war mehr Harry S. Morgan denn Michael Schey. Über einen Mann, der die Rolle des Pornoregisseurs so perfekt spielte wie kaum ein anderer – und sich selbst dabei wohl bisweilen aus den Augen verlor.
Die letzten Porno-Dinosaurier Deutschlands
In Berlin-Weißensee, einem typischen Ost-Stadtteil (kleine windschiefe Häuser, Trambahn, Pflastersteine und in der Luft der Geruch von verbrannter Kohle), treffe ich das Team, das einen Vivian-Schmitt-Film dreht. Ein Filmstudio gibt es auch, aber das ist eher klein und provisorisch. Fotofactory heißt der bescheidene Flachbau, der ursprünglich mal eine Fabrikationsstätte für Eisen- und Metallwaren war. Das Studio wird für gerade mal zwei Tage vermietet, an die Essener Firma "Videorama", einem der letzten Porno-Dinosaurier in Deutschland, der noch nach Atem ringt, nachdem vor ein paar Jahren der "Meteor" Internet mit voller Wucht in die DVD-Landschaft eingeschlagen ist.
Harry S. Morgan, das ist der Regisseur, 62 Jahre alt, einer, der alle Höhen und Tiefen miterlebt hat – und manch einer würde über ihn sagen, er sei eine schillernde Persönlichkeit. Harry ist groß und hager, er zündet sich eine Zigarette nach der anderen an. Er schwankt zwischen Melancholie und Abgeklärtheit und versucht dabei, Humor zu bewahren. Manchmal, so sagt er mir, weiß er nicht, ob er noch den Enthusiasmus aufbringt, den er braucht, damit der Funke von seinen Filmen auf den Zuschauer überspringt. Einer, der alle Geschichten kennt, der Porno in Deutschland groß gemacht hat und jetzt versucht, zu retten, was noch zu retten ist.
"Der wievielte Film ist das eigentlich, den du heute mit Vivian Schmitt drehst?" frage ich.
Er überlegt. "Vielleicht der dreißigste. Jedes Jahr vier Filme, selten sind es mehr." Harry dreht ausschließlich für "Videorama".
"Du musst eine Darstellerin knapp halten. Die Leute müssen auf den nächsten Film warten. Die meisten Mädchen machen den Fehler, ganz schnell ganz viel zu drehen. Die sind verbraucht, bevor man sich auf sie freuen kann. Die spielen alles, quer durcheinander. Aber der Endverbraucher braucht eine Identifikationsfigur, also muss man eine Rolle durchhalten. Genau das hat zum Beispiel Gina Wild getan – die hat nur sieben Filme gedreht. Das war auch mit ein Grund für ihren Erfolg."
Der neue Vivian Schmitt spielt in einem Cabaret. Die Kulisse sieht aus, wie man sich ein Cabaret in einem Pornofilm vorstellt. Die Farbe Rot dominiert, es gibt ein altes Klavier, eine kleine Bühne, samtene Vorhänge.
Die Dreharbeiten zum neuen Vivian-Schmitt-Porno beginnen
Ich mache es, wie schon bei den anderen Dreharbeiten. Ich sitze erstmal einfach nur herum, schaue zu, versuche, unsichtbar zu bleiben. Frauen und Männer laufen nackt umher, fummeln an sich herum. Und Harry sagt zwischendurch: "Fick sie jetzt mal heftiger." Harry meint, er habe sich über die Jahre angewöhnt, sich nicht mehr aufzuregen. "Früher habe ich die Leute am Set noch angeschnauzt. Heute weiß ich, ich kann mich auf das Team verlassen."
Er zelebriert das denn auch mit einer coolen, fast aufreizenden Lässigkeit. Während Thomas, der Kameramann, das Set einrichtet, die Scheinwerfer arrangiert und sich Gedanken über die Auflösung der Szene macht, sitzt Harry an einem ausrangierten Billardtisch, raucht, hat einen Monitor vor sich und wartet ab, bis Thomas ruft, es könne jetzt losgehen.
"Als ich einmal nachts auf einer Wiese gelegen und in den wolkenlosen Himmel geschaut habe, habe ich gelernt, was Demut ist. 100 Milliarden Sterne! Und wir denken, wir seien einzigartig. Worüber soll ich mich also aufregen? Und warum haben so viele Menschen Depressionen? Es ist die Angst vor dem Leben, die die Leute traurig werden lässt. Dabei müsste man doch meinen, wir, die wir in den großen Industriestaaten leben, hätten alles, was wir zum Leben brauchen. Doch es ist der falsche Glaube, der uns niederdrückt: Wir glauben, die Technik werde es schon richten. Aber das Leben ist keine Frage der Technik", sagt der Porno-Regisseur.
"Wir können", ruft Thomas. Klaus, der Darsteller, hat seinen Platz eingenommen. Klaus ist der aus dem Big-Brother-Container, auch bekannt als Porno-Klaus. Vivian steht parat. Sie wird tanzen. Sich dabei ausziehen, es sich selbst mit einem Dildo machen und den Gast, also Klaus, dann zu sich auf die Bühne holen.
"Und Action!"
Harry zündet sich eine neue Fluppe an und schaut auf den Monitor. Vivian tanzt, befriedigt sich selbst. Sie hat einen Orgasmus und stöhnt auf. Mit einem Lachen schleudert sie den Dildo hinter sich. "Hast du gesehen, wie nass das Ding war?" ruft Vivian begeistert aus. Sie beugt sich vor und zieht Klaus zu sich heran. Doch Klaus hat Probleme. Sein Schwanz wird nicht hart. Vivian versucht, das zu beheben. Mit Hingabe. Es scheint, als sei Klaus jetzt doch soweit. Es kann losgehen. Harry raucht eine neue Zigarette.
Die Karriere des Harry S. Morgan
Und während Vivian und Klaus ihre Szene haben, erzählt mir Harry von seinen Erfahrungen als Sex-Reporter. Er hat die Amateur-Reihe "Happy Video Privat" begründet, schon in den 80er Jahren. Er reiste herum, besuchte Pärchen, sprach mit ihnen über Sex und filmte dabei. "Happy Video Privat", das sei die erfolgreichste Porno-Reihe der Welt, meint Harry nicht ohne Stolz. 120 Folgen hat er bereits gedreht und ein Ende ist nicht abzusehen. Amateure gehen immer. Echte Amateure. Denn denen begegnet man in den kurzen Filmen auch persönlich, die reden über sich und gewähren den authentischen Blick über den Gartenzaun, hinter die Gardinen. Die Leute melden sich bei der Firma. Die wollen das. Wollen sich zeigen.
"Mittlerweise habe ich über 1.000 Interviews mit Paaren gemacht. Junge, alte, dünne, dicke. Ich kenne das ganze Programm." Als die Mauer fällt, ist er wohl der erste, der mit der Kamera rübergemacht ist und Menschen aus der DDR zu ihren sexuellen Vorlieben befragt hat.
"Der Sex war bei denen unpornographisch. Denen fehlten schlicht die Bilder, also Pornos. Das war alles offener, der Sex war ruhiger, ganz unspektakulär. Eine Frau hatte ich dazu überredet, sich zu rasieren. Die war völlig überrascht über ihr eigenes Geschlecht: 'Sowas habe ich noch nie gesehen', meinte die dann zu mir."
Ein "Hänger" wird zum großen Problem
So redet Harry, während Klaus versucht, Vivian zu vögeln, wie es sich gehört. Aber es lässt sich nicht mehr überspielen: Sein Schwanz ist einfach zu schlaff. Immer wieder rutscht er raus. "Der Kerl hat Pimmel-Probleme", flüstert Harry mir zu.
Jetzt wird er lauter. "Du schlägst uns mal was vor und dann geht es los. Ich brauch jetzt einen Fick!" Harry ist wütend. Klaus zieht sich zurück. Er muss mal in sich gehen. Er braucht Zeit. Konzentration. Harry raucht noch eine Kippe. Er sitzt auf seinem Stuhl, hat gerade eine SMS verschickt.
"Wir sind eine geteilte Welt. Aber nicht etwa in Arme und Reiche, Schöne oder Hässliche. Nein! Auf der einen Seite die Frauen, auf der anderen die Männer. So sieht's aus!" Vivian versucht es bei Klaus mit aufmunternden Worten. "Du bist doch ein geiler Ficker!"
Das ist das Paradoxe des Pornofilms. Der zum geilen Ficker stilisierte Mann ist die Folie, auf der alles abgebildet wird, was es zu Pornographie zu sagen gibt. Die Vorurteile, die den Mann als seelenlose Vergewaltigungsmaschine ausgemacht haben, oder umgekehrt: die ihn zum potenten, männlichen Vorbild verfremden, sind ein jederzeit vom Einsturz bedrohtes Konstrukt.
Harry wird nun doch unruhig. "Klaus, jetzt will ich dich spritzen sehen, mach mal was." Und zum Kameramann. "Zeig mir Vivian. Nicht den Typ, den will keiner sehen!" Klaus reißt sich zusammen. Er ist schweißüberströmt. Vivian gurgelt: "Oh, ich komm gleich. Ich bin schneller als du."
Klaus hat wohl zurück in seinen ganz eigenen Film gefunden. "Ich bin soweit. Wohin soll ich spritzen?"
"Auf die Fotze. Hauptsache, du kommst!" Und zu mir, der ich wieder neben ihm am Billardtisch sitze: "Ich hab' die Schnauze voll."
Nach vollbrachter Tat gibt Klaus Vivian ein Tuch und entschuldigt sich. "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen", meint sie. "Ich läster auch nicht. Erst in zehn Jahren ..." Zu Harry kommt er auch mit einer Entschuldigung, dieser große, rein physisch so beeindruckende Typ. Er bietet sogar an, Abstriche bei seiner Gage zu machen, was Harry aber nicht annehmen will.
Anonymität, das größte Problem der Pornobranche?
Harry erklärt mir die Misere der Branche: "Die Porno-Industrie ist zu anonym geworden. Sex hat mit Identifikation und Persönlichkeit zu tun – aber wo bitte schön soll das denn im Internet gelingen? Ich habe damals zu Gina Wild gesagt: 'Du musst dich bekannt machen: Videotheken, Sex-Shops, geh da hin, stell dich vor, dann sagen die Leute: Ich hab' mir von der ein Autogramm geholt. Ich selbst hab' die mit eigenen Augen gesehen. Die ist echt. Die Mädchen von heute sind zu schnelllebig. Die kapieren nicht, dass man für sein Geld hart arbeiten muss. Ich muss ja nicht nur ein Star werden. Ich muss es vor allem bleiben."
Harry S.Morgan hat Gina Wild kreiert, kann man sagen. Er hat Vivian Schmitt groß gemacht.
Harry hat als Fotograf angefangen und bei Pornos Standfotos geschossen, für die großen Regisseure des deutschen Pornofilms der 80er Jahre: Hans Billian und Gunter Otto. "Da sah ich Dinge, die ich nicht kannte. Ich muss sagen: Sex muss man auch als Mann erst mal lernen. Porno war neu für mich. Und durch Porno habe ich eine Menge gelernt. Jedenfalls habe ich mich dann gleich in eine Hauptdarstellerin verliebt, weil die den ganzen Tag vor der Kamera vögelte."
Jetzt stehen wir am Buffet in der Fotofactory, und Ralf, der Aufnahmeleiter, gibt mir Anschauungsunterricht in Sachen Porno-Niedergang in Deutschland. "Vor vier Jahren gab's beim Dreh noch ein Buffet. Dann kam der Pizza-Dienst. Und jetzt sind wir bei Brot mit Aufschnitt."
Pornofilmgeschichten aus einem längst vergangenen Jahrtausend
Am Abend wird Harry mit dem technischen Team über den Hof trotten – zu der Wohnung, die dem Studio angegliedert ist –, wo man sich noch etwas kochen wird, den Abend ausklingen lässt. Die Zeit der schönen, komfortablen Hotels ist schon länger vorbei. Harry hat seine große Zeit gehabt. Jetzt lebt er von den Lorbeeren. Und seine Filme atmen den Spirit der 70er und 80er Jahre. Es sind Filme der Vergangenheit.
"Das ist ein schönes Bild", flüstert mir Harry bei den Arbeiten an einer Szene einmal zu, fast schon verträumt, den Ellenbogen auf dem Billardtisch, die Kippe zwischen den Fingern. "Das hat doch was Arabisches. Ist im Stil der 70er Jahre."
Harry schaut mich über den Rand seiner Brille an, als wäre er Professor für Kunstgeschichte, der gerade einem seiner Assistenten mit dem unumstößlichen Kernsatz den Kick des Barock vermittelt hat. So taucht doch bei mir die Frage auf, ob Harry nicht auch zu jenen Passagieren auf der Porno-Titanic gehört, die immer wieder gerne betonen, wie wichtig ihnen eine Geschichte sei und dabei vor lauter Rührung übersehen, dass die Geschichten, die sie erzählen, aus einem anderen, längst versunkenen Jahrtausend stammen.
Gerade weil sich mal mit Porno in Deutschland sehr viel Geld verdienen ließ, befindet sich die Branche jetzt auf Kellerfahrt. Weil sie sich nicht wirklich weiterentwickelt hat, befindet sie sich im freien Fall.
Pornostars gehören zu einer aussterbenden Spezies
Wir sind noch in jenem kleinen Flachbau in Berlin-Weißensee, wo Harry mitunter agiert wie sein eigenes Zitat und das Team mit Erfahrung und Gelassenheit zu einem weiteren Vivian-Schmitt-Film führt. Auch Vivian gehört zu einer aussterbenden Spezies. Der "Pornostar" wird zu einem Relikt. Es gibt keine Firma mehr, die ausreichend Geld hätte, um eine Darstellerin aufzubauen. Über Teresa Orlowski redete jeder, Dolly Buster kannte man, bei Vivian Schmitt wird die Luft schon dünn. Und die, die danach kommen, kennt kaum einer mehr.
Während Vivian Schmitt mit einem Darsteller das pornografische Programm durchzieht, erhebt sich Harry von seinem Stuhl, die Kippe zwischen den Fingern, schlendert in die Küchenecke, sucht und findet schließlich eine Banane, die er in aller Ruhe schält. Er schaut sich nach dem Abfalleimer um, geht die paar Schritte, wirft die Schale hinein und steuert in aller Ruhe wieder den Stuhl an, wo er genüsslich die Banane isst, während Thomas und der Tonmann um das fickende Pärchen kreisen und die diversen Einstellungen abarbeiten.
Harry haut mit der flachen Hand auf den Tresen. "Dieser Film wird ein Hammer. Mit dem Aufwand! Mit so einer Kulisse!!" Harry zündet sich eine weitere Zigarette an. "Sex ist eine Frage des Geistes, nicht des Körpers." Ich finde, das ist für einen Porno-Regisseur DER Satz überhaupt.
© Philip Siegel
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