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Erika Lust im Interview

"Porno hat die Macht, aufzuklären und zu befreien!"

Erika Lust ist Pionierin und Ikone des sexpositiven, frauenfreundlichen Pornos. Im Interview spricht sie über den Wandel in der Pornobranche, die Zutaten für einen guten Porno und den Film, der sie am meisten beeinflusst hat.

JOYclub: Du bist mittlerweile schon über 15 Jahre im Pornogeschäft. Was hat sich in dieser Zeit verändert – im Geschäft wie auch an deinem Blick auf Pornofilme?

Erika Lust: Ich glaube, wir sehen gerade einen schrittweisen Umbruch in der Pornobranche. Die Notwendigkeit wird erkannt, die Sachen mit einer klaren Wertehaltung und vor allem mit besseren Arbeitsbedingungen für alle Beteiligten anzugehen.

Ich kann nur hoffen, dass wir diesem Weg treu bleiben und es Menschen so ermöglichen, Porno nicht nur als Grenzüberschreitung oder als ein schambehaftetes, schmutziges Geheimnis zu betrachten, sondern einfach als Teil unseres Lebens, in dem Sex nun mal sehr präsent ist.

 

JOYclub: Dein Ziel zu Beginn war es, frauenfreundliche Pornos zu schaffen, die weibliche Bedürfnisse ansprechen. Wenn du zurückschaust, was hast du erreicht?

Erika Lust: In den letzten Jahren ist die Rolle der Frauen in der Pornobranche stärker diskutiert worden als in der Vergangenheit. Es gibt mehr und mehr Frauen, die sich trauen, Pornos aus ihrem eigenen Blickwinkel auf Sex und Lust heraus zu drehen.

Und: Es gibt eine Community von Regisseurinnen, die sinnliche und kluge Filme drehen, etwa unter Brands wie XConfessions , LustCinema, EroticFilms und The Store. Dort finden sich über 150 Filme, die eigene cinematische Perspektiven und künstlerische Visionen in die Branche tragen. Beispielsweise indem sie ein breites Spektrum an Sexualitäten und Gender abbilden oder einfach lebensnahen Sex zeigen.

 

JOYclub: Wie definierst du den Begriff sexpositiv und was bedeutet er dir?

Erika Lust: Sexpositiv zu sein, heißt, sich in der eigenen Sinnlichkeit und dem eigenen Körper wohlzufühlen. Ohne Scham, vermeintlich zu sexuell aufzutreten, zu anzüglich oder gar anstößig zu sein. Ein Beispiel: Es ist ziemlich schwierig, als sexpositive Influencerin auf bestimmten Social-Media-Kanälen aktiv zu sein. Die privaten, monopolistischen Tech-Firmen zensieren mit Vorliebe weibliche Körper, nur weil die sich zeigen, wie sie sind.

Männliche Körper haben hingegen nicht mit diesem Problem zu kämpfen. Mein Ziel ist es, dieses Stigma des weiblichen Körpers zu zerschlagen. Weil es eines der subtilsten und zugleich effektivsten Werkzeuge der Unterdrückung ist, das Frauen der Möglichkeit beraubt, selbstbewusst über ihre Körper zu sprechen.

 

JOYclub: Für deine Kurzfilm-Serie XConfessions hast du anonyme erotische Fantasien und Geständnisse von Fans gesammelt. Wovon lässt du dich noch inspirieren?

Erika Lust: Manchmal wache ich mit einem packenden Konzept auf, das ich in einem Film umsetzen möchte, und finde dann ein Geständnis, das meine Idee nährt. Für meine LustCinema-Filme und -Serien habe ich einfach eine Idee, und diskutiere sie dann mit meinem Team.

Das Ziel ist immer, so viel Vielfalt wie möglich zu zeigen und mich nie zu wiederholen. Wenn es etwas gibt, das ich über all die Jahren gelernt habe: Solange du dich vom echten Leben zu Vielfalt inspirieren lässt – abseits vom typischen Porno-Archetyp –, sind die Möglichkeiten für Erwachsenenfilme tatsächlich unbegrenzt!

 

Erika Lust in der JOYclub-Mediathek
Viele Filme aus Erika Lusts Reihe XConfessions findest du in der JOYclub-Mediathek.

Erika Lust im Interview

JOYclub: Wird es einen Erika-Lust-Film geben, in dem du Covid19 thematisch streifst?

Erika Lust: Den gibt es schon! "Sex & Love in the Time of Quarantine" ist mein neuester XConfessions-Sexdokumentarfilm. Zwei Solokünstler und zwei Paare aus verschiedenen Städten der USA und Spaniens laden den Zuschauer zu sich nach Hause ein, um darüber zu sprechen, wie sich die Pandemie auf ihr Leben ausgewirkt hat, bevor sie ein erotisches Spiel beginnen, das zu einem besonderen sexuellen Quarantäne-Abenteuer führt.

Die Darstellern haben das gesamte Material selbst mit ihrer eigenen Ausrüstung zu Hause gefilmt. Unser Team hat es dann hier in Barcelona geschnitten. Die Idee hinter diesem Projekt war nicht nur, dem Publikum mehr Unterhaltung zu bieten, sondern vor allem, den Darstellern, deren Dreharbeiten aufgrund der Pandemie verschoben wurden, Arbeit zu verschaffen. Im Gegensatz zu all meinen Filmen, die mit einem Abonnement erhältlich sind, habe ich beschlossen, diesen Film kostenlos zur Verfügung zu stellen.

 

JOYclub: Was sind die Zutaten für einen guten Pornofilm?

Erika Lust: Ich glaube, dass ein Erwachsenenfilm mit schönen Bildern und einer fesselnden Handlung viel sexier und erregender ist als die massenproduzierten Pornos, die auf den kostenlosen Tube-Seiten zu finden sind und die zudem oft frauenfeindliche, rassistische Titel tragen. Mit meinen Filmen möchte ich heißen, realistischen Sex darstellen, und um dies zu erreichen, kümmere ich mich um jedes einzelne Detail. Eine gut durchdachte Beleuchtung und Fotografie machen sicherlich den Unterschied, wenn es darum geht, das ganze Gefühl einzufangen – die Chemie zwischen den Darstellern, die Berührung ihrer Körper und die Entwicklung ihrer Empfindungen beim Sex.

Für mich geht es beim Sex nicht nur um den Akt; es geht um die gesamte Erfahrung, von der Verführung bis zur körperlichen Intimität. Wir sind an Erwachsenenfilme mit vielen Genitalaufnahmen gewöhnt, die meist von Männern gemacht werden, und das spiegelt die Tatsache wider, dass die höchsten Machtpositionen in der Pornoindustrie immer noch überwiegend von weißen Cis-Gender-Männern dominiert werden. Ich habe Frauen hinter den Kameras, in der Produktion, im Schnitt, im Drehbuchschreiben, im Kunstdesign. So können wir den weiblichen Blick wirklich durchsetzen.

 
Eine Szene aus Erika Lusts Miniserie "Safe Word".
Eine Szene aus Erika Lusts Miniserie "Safe Word".
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JOYclub: Hast du je mit dem Gedanken gespielt, einen Mainstreamfilm zu schreiben und zu drehen? Welches Genre würdest du am ehesten in Angriff nehmen?

Erika Lust: Ich werde es nie satt haben, erotische Filme zu drehen! Ich möchte weiterhin ästhetisch ansprechende Pornofilme schaffen, mit einer filmischen Vision und einem weiblichen, inklusiven Blick, um die ganze Lust und Verführung einzufangen, die im Sex liegt. Ich möchte Pornos machen, die sich meine erwachsenen Töchter irgendwann anschauen können.

Als ermutigende Alternative zu all den stereotypen Pornos, die meistens nur schädlich anstatt sexy sind. Ich möchte sowohl Frauen als auch Männer als Herrinnen und Herren ihrer Wünsche in gegenseitig einvernehmlichen sexuellen Beziehungen darstellen. Außerdem bringen viele GastregisseurInnen, die mit mir für XConfessions zusammengearbeitet haben, ihre Visionen und Stile ein und helfen mir dabei, eine ganze Gemeinschaft wagemutiger Porno-Regisseuren zu schaffen.

 

JOYclub: Was fasziniert dich nach all den Jahren noch immer am Pornogenre?

Erika Lust: Porno ist ein Diskurs über unsere Sexualität. Das habe ich durch die Lektüre von Linda Williams' Buch "Hardcore" gelernt. Porno hat die Macht, aufzuklären, Ideologien und Werte, aber auch Meinungen über Sex und Geschlecht auszudrücken. Was vor allem bedeutet, dass Pornos die Macht haben, zu befreien.

 

JOYclub: Was ist die sinnlichste und lustvollste Szene, die du in Filmen anderer RegisseurInnen gesehen hast? Und was macht sie so sexy?

Erika Lust: "Der Liebhaber" von Jean-Jacques Annaud hatte einen großen Einfluss auf meinen Filmstil. Das erste Mal, als ich ihn sah, war eine Offenbarung: Die Protagonistin wird durch Sex und eine unkonventionelle Liebesgeschichte erwachsen, und das wird vollständig aus ihrer Sicht gezeigt.

 

JOYclub: An welchem Projekt arbeitest du gerade? Was ist die Idee dahinter?

Erika Lust: Ich habe eben erst "Safe Word", die erste Original-Miniserie von LustCinema unter meiner Regie, veröffentlicht. Ich kann kaum ausdrücken, wie sehr ich mich darüber freue! "Safe Word" ist ein vollständiges Eintauchen in die gesunde, sexy Kommunikations- und Bewusstseinskultur des BDSM. Die Serie folgt der skrupellosen und anspruchsvollen Theaterregisseurin Christie Alda bei ihrer Initiation in die BDSM-Welt, ermutigt durch ihre neuen Nachbarn.

Leider ist BDSM in der Mainstream-Kultur mit einem Stigma behaftet – Menschen, die in Fetischen ihre Lust ausleben, werden noch immer als pervers, psychisch krank oder als Opfer vergangener Traumata abgestempelt. Entgegen der landläufigen Meinung kann BDSM tatsächlich ein großartiges Instrument sein, um sich selbst sowohl sexuell als auch geistig auf den Grund zu gehen!

BDSM-Praktiken und andere Formen des Kinks können nur stattfinden, wenn sie auf gegenseitigem Vertrauen, Respekt und Fürsorge aufbauen – es ist ein einvernehmliches Spiel. Mit dieser Art von Praktiken könnten wir tatsächlich viel über Kommunikation und Zustimmung lernen! Selbst ich habe durch das Beobachten der Darsteller Mona, Nina und Mickey viel dazugelernt.


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Erika Lust im Interview

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