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Mark Benecke – meine liebsten Sexcomics

Von Sweet Gwendoline bis Sonnenstein

Comic-Fan Mark Benecke erzählt, wie er seine Liebe zu Comics entdeckte und welche ihm besonders in Erinnerung geblieben sind.

Ein Gastbeitrag von Mark Benecke

Das Sexcomic neben der Leiche

Das erste Mal stolperte ich über Comics mit sexuellem Inhalt zu einem Geburtstag unseres Chefs. In der Wissenschaft ist es üblich, zu runden Geburtstagen der Institutsleiter:innen sogenannte Fest-Schriften herauszugeben. Darin sammeln alle Kolleg:innen ihre aktuellen Forschungsberichte und widmen sie dem oder der Chef:in. In dieser Festschrift war der Fall einer toten, nackten und gefesselten Frau zu sehen. Neben ihr hatte eine "Fesselanleitung" gelegen.

Mord, Suizid oder Unfall?

Auf dem Foto wirkte die Fesselanleitung neben der Leiche wie ein Comic. Mein örtlicher Heftchen-Laden in Köln half weiter. Denn der damalige Besitzer wusste sofort, wessen Strich das war: der von John Willie, dem heute vergessenen Urvater von Bondage- und Fetisch-Bildergeschichten. Seine Figur Sweet Gwendoline, heute manchen noch aus einem Lied von Die Ärzte bekannt, war BDSMlerin.

Das gedruckte Heft zur Comic-Figur erschien bei Irving Klaw. Der wiederum war der Verleger und Produzent der heute (leider) ebenfalls vergessenen Bettie Page, die 1923 in Nashville, Tennessee geboren war. Gerne hätte ich mit ihr in zwei Jahren ihren Hundertsten gefeiert, aber 2008 ist sie gestorben.

Bettie Page war das erste weit bekannte Fetisch-Modell. Zwei Generationen von Männern und Frauen lagen ihr zu Füßen.

Sie durfte als erstes Nackt-Modell überhaupt (angezogen) ins Fernsehen und zog schon in den prüden 50ern die Tofuscheibe von der Schrippe.

Ende der 70er Jahre erlebten ihre Fotos ein Revival. Ihr Kleidungsstil, aber auch ihr Gebaren, ist noch heute in jedem SM-Studio bei mindestens einer Mitarbeiterin zu sehen – mal bei den Dominas (der berühmte schwarze Pony-Schnitt), manchmal auch auch bei den Subs (Pin-Up-Posing). Ihr Stil hatte ebenso Einfluss auf die Comicwelt.

Sexcomics: Zensur der Wildschwein-Rache

Auf diesem Wege kam ich also mit der Wunderwelt der sexuell aufgeladenen Comics in Berührung. Viele der Geschichten stellten sich als albern heraus und wollten auch nichts anderes sein, beispielsweise "Die kranken Schwestern" über zwei Damen, von Beruf überraschenderweise Krankenschwestern.

Einige Comics erschöpften sich darin, um jeden Preis große Brüste zu zeigen. Tipp für Freund:innen großer Brüste ohne jeden Anspruch an den Inhalt: "Tarot" heißt die bekannteste Serie, die dieses Thema auf die Spitze treibt.

Für Jüngere: Früher spielte die Zensur noch eine große Rolle. Selbst das heute jedem Schulkind zugängliche Outing-Comic "Der bewegte Mann" von Ralf König war 1987 außerhalb von Köln und Berlin hin und wieder heiße Ware. Es wurde aber zumindest nicht indiziert und damit aus den Auslagen verbannt.

Wie verrückt das Zensieren war, zeigt das Fachbuch "Comic-Striptease: Sex und Porno im Comic-Strip" von Dieter Brummbär. Das 1973 erschienene Buch handelt unter anderem von Zensur in Comics – und landete selbst auf dem Index. Obwohl (oder weil) Comics in den 80er Jahren zur neunten Kunst aufstiegen (nach Bildhauerei, Malerei, Zeichnung, Grafik, Architektur, Fotografie, Fernsehen, Film), wurde die Zensur schärfer.

Ausgerechnet der (ebenfalls vergessene) Zeichner Jean-Marc Reiser geriet wegen angeblich "selten brutaler Frauenfeindlichkeit" in den Blick der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, obwohl Männer bei ihm mindestens genauso vertrottelt präsentiert werden wie Frauen.

Vermutlich störte man sich vor allem an einer Zeichnung, in der ein Wildschwein einen Jäger vergewaltigt, weil dieser soeben seine Wildschwein-Frau getötet hat.

"Du hast meine Frau getötet, du wirst sie mir ersetzen", so das Tier zum Jäger.

Sexcomics: Frauen lieben Frauen

Einen Höhepunkt in der Welt der sexuellen Comics stellt seit 2011 die Serie "Sonnenstein" dar. Hier zeichnet und textet Stjepan Šejić jede Ecke der Comic-Bilder sauber, schön, freundlich, offen, in feinsten Farbverläufen und in bombastischem Hochglanz. Die Handlung der Geschichte, obzwar ein Sex-Märchen, trägt und ist fein zu lesen:

Protagonistin ist Lisa, die stets fühlte, dass in ihrem Liebesleben etwas fehlt — bis sie Ally begegnet: erfolgreich im Job, nettes Haus, gewöhnliche Kindheit. Ally wird zu Lisas Mistress — und aus der Spielbeziehung bald sehr viel mehr als nur eine Freundschaft. Die realistischere Version von "Shades of Grey"!

Natürlich sind sowohl "Sonnenstein" als auch "Shades of Grey" stark überzeichnet. Nichtsdestotrotz: Mensch muss die großformatigen, fest gebundenen und auf dem schönsten Papier gedruckten Bände in der Hand halten, um den wohl endgültigen Bruch zu den früher versteckten, verleugneten und verbotenen Meeren an sexuellen Bild-Geschichten zu begreifen. Wenn mehr dazu interessiert: Ich habe beim Talkformat "Comics & Bier"-Special 2019 eine ausführliche Beschreibung der Hefte geliefert. Anzuschauen gibt es das auf dem gleichnamigen YouTube-Kanal.

Mark Benecke – meine liebsten Sexcomics
 

Sexcomics und Mangas

Wie generell in der Sexualität gibt es ebenso in sexuellen Comics hunderte Spielarten; von den Mangas will ich hier gar nicht erst anfangen. Oder vielleicht doch: Eine schöne, noch recht aktuelle Serie heißt "Sexy Puzzle" (2014 auf Deutsch erschienen, engl.: Love Collage).

Hauptfigur ist der 15-jährige Hachibe, der nur bestimmte Körperpartien von Frauen mag und sexy findet. Von den Mädels in der Provinz gelangweilt, zieht er nach Tokyo und hofft, hier seine Traumfrau zu finden. Er hat ganz genaue Vorstellungen von den Proportionen seiner Zukünftigen. Als er in einem Wohnheim voller Mädchen landet, wähnt er sich schon im siebten Himmel. Doch statt verliebter Herzen hagelt es erst mal Backpfeifen!

In Wahrheit ist die 'Sexy Puzzle'-Geschichte mehr rührend als sexy. Unser Hauptdarsteller erkennt nämlich im Laufe der Zeit, dass Frauen aus mehr als ihren Einzelteilen bestehen.

Eine klassische Entwicklungsgeschichte also. Schon dass Autor und Zeichner Kazurou Inoue es geschafft hat, seinen Helden glaubhaft in ein Mädchenheim zu verpflanzen, ist doch bemerkenswert. Und nebenbei weht ein hübscher Hauch Beziehungsanarchie mit.

Das Vorurteil, Mangas bedienten die Gelüste alter Menschen, die jüngere Menschen sexy finden, ist übrigens ein deutscher Lesefehler: Die meisten dieser Geschichten spielen eher mit Beziehungsfragen als mit Sex und sind ausdrücklich für Jüngere geschrieben – obwohl das Nicht-Leser:innen oftmals genau andersherum vermuten. Mensch sieht offenbar manchmal das, was im eigenen Kopf rumort, aber nicht auf dem Papier zu finden ist.

Neuerdings kommen noch Massen queerer Comics hinzu, und die ganzen Gender zerfallen nicht nur im Alltag, sondern auch in den Bildergeschichten angenehmerweise zu Staub. Da ich hier aber Klassiker in die Verlosung gebe, soll es bei diesen kurzen Andeutungen bleiben.

Kurzum: Viel Spaß bei der Verlosung und viel Freude beim Lesen!

 

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