Der deutsche ist der zweitgrößte Pornomarkt der gesamten Welt. Grund genug, ihm einen eigenen Bereich zu widmen und den deutschen Porno genauer unter die Lupe zu nehmen. Dementsprechend wollen wir euch hier den deutschen Porno und seine Stars näher bringen. Den Einstieg soll ein interessantes Buch zum Thema erleichtern, das sich allen Spielarten des deutschen Pornos annimmt und ein intimes Portrait der Branche zeichnet.
"Porno in Deutschland" – Reise durch ein unbekanntes Land
Von einem, der auszog, den Porno zu lernen. Philip Siegel, seines Zeichens Redakteur für den WDR in Köln, nahm sich für ein Jahr verstärkt aus seinem regulären Job heraus, um sich in die Welt des deutschen Pornos einzufinden und ein Buch darüber zu schreiben. Diese Reise durch Pornodeutschland wurde für ihn zu einem prägenden Erlebnis, das vor allem die gängigen Klischees, die einem bei dem Thema Porno kommen und die auch in Philip Siegel Berührungsängste aufkommen ließen, eindrucksvoll widerlegte. Wir stellen euch das Buch vor.
Philip Siegel reist durch Pornodeutschland
"Als Redakteur war ich unterwegs in Brasilien, Kolumbien, Palästina, Russland und Aserbaidschan, aber die interessanteste Reise war mit Abstand die, die ich in Deutschland gemacht habe: nämlich durch das unbekannte Land der Pornographie." Philip Siegel
Philip Siegel arbeitet seit 20 Jahren als Journalist und Redakteur und lebt aktuell in Köln. Auf die Idee, das Buch "Porno in Deutschland" zu schreiben, kam er, als er ein Standard-Werk zum Pornofilm in Deutschland suchte und nicht fündig wurde. Für den zweitgrößten Pornomarkt der Welt, mit mehreren hundert veröffentlichten Porno-DVD Titeln jeden Monat und mehreren zehntausend Menschen, die hierzulande mit dem Geschäft zu tun haben, ein echtes Unding. Und eine echte Herausforderung für den Journalisten in Philip Siegel, sich einmal der Branche auf Augenhöhe zu nähern.
Dazu stellte er bei seinem Arbeitgeber einen Nebentätigkeitsantrag und schon an diesem Punkt musste er feststellen, dass Porno ein Thema ist, über das man nicht spricht. Porno findet ausschließlich hinter verschlossenen Türen statt und wird weggeschlossen. Aber konsumieren tut ihn fast jeder.
Das schlechte Image beruht auf den üblichen Klischees: Pornomacher sind Kriminelle, die Frauen werden zum Sex gezwungen und/oder sind drogenabhängige Wracks, der Porno ist eine reine Selbstbeweihräucherung der männlichen Sexualität und die Drehorte sind die abgerissensten Hinterhöfe und -zimmer der Republik. All diesen Klischees, die zu Beginn auch ihn selbst umtrieben, einfach weil sie in unser aller Köpfe verankert sind, wollte Philip Siegel auf den Grund gehen. Am Ende seiner Entdeckungstour konstatierte er:
Pornoland Deutschland
Diese Reise durch Pornodeutschland hatte es wahrlich in sich und dauerte ein ganzes Jahr. Die Dokumentation derselben heißt "Porno in Deutschland" und ist aufgezogen wie ein Reisebericht. Dieser beginnt mit einem Treffen mit dem Pornostar Luna B., bei dem auch offensichtlich wird, welche Berührungsängste der Autor anfangs mit dem Thema hat.
Mit jedem weiteren Kapitel – von denen es 23 gibt – in denen oberflächlich betrachtet die Interviews mit den Regisseuren, Stars, Sternchen und Produzenten der deutschen Pornolandschaft im Mittelpunkt zu stehen scheinen, rücken bald mehr und mehr die Randnotizen, die Philip Siegel macht, in den Mittelpunkt und geben einen einfühlsamen Einblick in die Industrie des deutschen Pornos und den Wandel, der sich im Autor selbst vollzieht.
Vom Mann, der anfangs noch zusammenzuckt, wenn in ganz "normalen" Gesprächssituationen im Restaurant auf einmal das Wort "Schwanz" fällt, wird er mit jedem Kontakt mit der Pornobranche, die ihn selbige immer besser verstehen lassen, fast zu einem Teil des Ganzen. So näht er irgendwann bei einem Dreh an einem Kostüm herum und reinigt irgendwann sogar das Set einer Minimalbudgetproduktion.
Geschichte, wirtschaftliche Entwicklung & Probleme des Pornos
Er wird immer mehr aus seiner neutralen Beobachtersituation herausgerissen und fast schon von dem Beobachtungsgegenstand vereinnahmt. Dieser Wandel, der sich im Buch absolut organisch und glaubwürdig anfühlt, verhindert aber nicht, dass der Autor nach wie vor heikle Fragen stellt und unangenehme Themen anschneidet.
Nebenbei rollt er die Geschichte der deutschen Pornografie auf, wobei er die wirtschaftliche Entwicklung ebenso berücksichtigt wie Fragen der Zensur. Gerade der letzte Punkt zieht sich immer wieder durch das Buch und zeigt auch, wie sehr gerade der deutsche Jugendschutz den deutschen Porno hemmt und welche eigenwilligen Stilblüten er treiben kann.
Highlight ist dahingehend das Kapitel um die Dreharbeiten zu dem Film "Die Versuchung" von dem Regisseur Nils Monitor. In diesem wird am eindrücklichsten klar, was der deutsche Jugendschutz für zeit- und energieraubende Folgen haben kann, da der Regisseur alle Sexszenen seines Filmes zur Auswertung auf verschiedenen Plattformen (Hardcore für die DVD, Softcore fürs TV und mit Gummi fürs französische TV) mehrere Male drehen muss und dabei sogar auf die Konstellationen der sexelnden Darsteller zu achten hat, da im deutschen Jugendschutz ein Passus enthalten ist, der es untersagt, dass in einer Softcorefassung ein Mann im Laufe eines Filmes mit zwei verschiedenen Frauen Sex hat!
Auch genrespezifische Probleme benennt Philip Siegel in seinem Buch. Dabei vor allem den Punkt, dass ein Porno verpflichtet ist, eine gewisse Authentizität zu transportieren. Das heißt, egal wie gespielt eine Sexszene auch sein mag, sie wird vom Publikum nur als Pornoszene akzeptiert, wenn sie authentisch endet, also in einem Orgasmus – bevorzugt dem männlichen.
Denn der weibliche Orgasmus lässt sich nicht wirklich bebildern. Ihm haftet immer der "Makel" an, auch gespielt sein zu können. Das ist beim männlichen Abspritzen (normalerweise) nicht der Fall. Ergo muss der männliche Darsteller fähig sein, auf Kommando kommen zu können. Und so ist der so verhasste Abspritzer ins Gesicht der Frauen in den meisten Pornos gleichzeitig auch das ultimative Gütesiegel, das den Film und den darin gezeigten Sex "authentisch" und damit zum wahren Porno macht.
Viele Klischees über den Porno werden aufgebrochen
Nicht nur an diesem Punkt wird in dem Buch überdeutlich, dass die ach so extreme Männerorientierung der Pornolandschaft zumindest für die Darsteller ein bloßes Gerücht darstellt. Mehrmals stellt der Autor auf seiner Reise fest, dass die Frauen in Deutschland die Stars sind und durchaus hofiert werden, während die männlichen Darsteller oftmals sogar vom Wohlwollen der Darstellerinnen abhängig sind, denn diese dürfen durchaus sagen, dass sie mit bestimmten Darstellern gar nicht erst arbeiten wollen.
Die Männer dagegen haben in der Welt des Pornos zu funktionieren. Wer keinen Steifen hat, hält den Betrieb und damit das ganze Team auf. Den emotionalen Stress, den ein Darsteller haben muss, wenn er einen Hänger hat, kann man vermutlich gar nicht ermessen. Auch hierfür hält das Buch ein eindrückliches Beispiel bereit: Porno Klaus, den einige von Big Brother kennen könnten, hat hier einen fatalen Hänger bei einer Szene mit Vivian Schmitt und erzählt von ganz eigenen Methoden, diese Situationen zu überwinden.
Vivian Schmitt dagegen zählt aktuell zu den wenigen echten Pornostars in Deutschland. Dabei ist sie so erfolgreich, dass sie im Gegensatz zu so gut wie allen anderen deutschen Darstellern des Genres nicht nebenher arbeiten muss, dafür aber auch zur Teilnahme an den verschiedensten Sexmessen und ähnlichen Promotion-Terminen verpflichtet ist.
Abseits dieses Stardaseins lernte Philip Siegel die unterschiedlichsten Menschen aus den verschiedensten sozialen Schichten kennen. Beamte, Lehrer, Handwerker, Kassiererinnen. Menschen wie du und ich, die das Abenteuer Porno nutzen, um dem alltäglichen langweiligen Sexleben zu entfliehen, die den sexuellen Kick suchen, die Grenzen überschreiten, die Wagnisse eingehen, die experimentieren und die gesellschaftlichen Zwängen entfliehen möchten und dazu – man höre und staune – vollkommen freiwillig ins Pornogeschäft einsteigen, wo sie im Jahr zwischen ein bis zweimal vor der Kamera stehen und sich und ihre Neigungen ausleben. Kurzum, Philip Siegel widerlegt Klischee um Klischee. Mal beiläufig, mal ganz offensichtlich.
Der Traum vom schnellen Ruhm? Nicht im deutschen Porno!
Vor allem der Niedergang des Pornobusiness zieht sich dabei wie ein roter Faden durch das Buch und wird in einem eindrücklichen Bild auf den Punkt gebracht: In der Hochphase des Pornos gab es bei jedem Dreh ein reichhaltiges Buffet. Dank des VHS und DVD Booms wurde der Porno zum Gebrauchsgut und die Produzenten mussten, um den Bedarf decken zu können, immer schneller und billiger arbeiten. Also bestellte man nur noch Pizzas beim Bringdienst. Und heute schmiert man sich dank Internet und damit eng verbundenen Raubkopierproblemen selbst Schnittchen am Set.
Reich wird man demzufolge nicht im deutschen Pornobusiness. Man kann sich Nischen schaffen und in jenen so agieren, dass man über die Runden kommt (demzufolge blendet der Autor auch den Amateurmarkt konsequenterweise nicht aus!), aber exklusive Starverträge wie Vivian Schmitt sind absolut die Ausnahme in einem Genre, das selbst noch nicht so recht begriffen zu haben scheint, wie es mehr und mehr auf den Abgrund zusteuert.
Doch auch für eine mögliche Rettung des Pornos liefert das Buch Anregungen, die einen zumindest zum Nachdenken bringen. Umsetzen müssen sie andere. Erstaunlicherweise erteilt das Buch dem aktuell – vielleicht auch zu sehr? – gehypten und zur Rettung des Genres hochstilisierten Frauenporno am Beispiel von Petra Joy eine deftige und in ihrer Argumentation sehr nachvollziehbare Abfuhr.
Im Mittelpunkt allerdings stehen trotz der Themenfülle immer die Menschen, die Beschreibungen der besuchten Dreharbeiten und die Pornogenres, die in Deutschland umgesetzt werden (interessanterweise produziert so gut wie niemand Lesbenpornos in Deutschland!).
Dabei begegnet der Autor seinen Gesprächspartnern und den teilweise befremdlich wirkenden Szenerien immer auf Augenhöhe und obwohl er sich viele Gedanken zu den angerissenen Themen macht, stellt er sich nie über das Filmgenre oder blickt auf selbiges herab.
Mit flotter Schreibe dokumentiert er seine Beobachtungen. Diese sind mal sachlich, mal überraschend, mal anstrengend (das letzte Kapitel um einen heftigen Dominadreh sei genannt), mal komisch, aber immer menschlich und einfühlsam und immer wieder angereichert um wundervolle kleine Details. Genannt sei ein Kapitel um den Dreh eines Gangbangpornos von John Thompson. Hier muss man den Eindruck bekommen, dass dieser Mensch so ziemlich der schrecklichste Unmensch im Pornogeschäft ist. Und kaum hat man eine große Mauer gegen diesen Mann und sein Verhalten aufgebaut, reißt ein kurzes Statement eines Darstellers diese Mauer wieder ein und macht sogar diesen wüsten Wüterich zum Menschen.
Pornoland ist abgebrannt
"Porno in Deutschland" gibt der deutschen Pornobranche ein überraschend menschliches Gesicht, indem es vor allem althergebrachte Klischees widerlegt. Dies gelingt dem Autor anhand von interessanten und viele Einblicke in die deutsche Pornowelt gebenden Gesprächen, die er konsequent mit Randnotizen erweitert und sein Buch so zu einem echten Standardwerk für den deutschen Porno macht, das versucht, dem deutschen Porno in all seinen Aspekten gerecht zu werden. Erstaunlich ist dabei durchgehend, wie offen und unbefangen Philip Siegels Gesprächspartner über ihren Job und ihre Erfahrungen reden, wie nah sie den Autor und damit auch den Leser an sich heranlassen.
Die Anekdoten seiner Reise durch Pornodeutschland, die ihn von München nach Berlin, Dresden, Darmstadt, Essen, Mühlheim an der Ruhr, Wuppertal und Frankfurt/Main führte, wertet er mit tollen Behind the Scenes Schnappschüssen auf, die größtenteils unkommentiert noch einmal ganz andere Blickwinkel auf die Branche erschließen. Großartig ist beispielsweise ein Foto von Porno Klaus, in dem er versucht, seinen Hänger "auszublenden" (wie er es nennt). Doch auch andere Bilder von Dreharbeiten, bei denen im Hintergrund Darsteller am "Arbeiten" sind und im Vordergrund Darsteller der nächsten Szene schon die notwendige Konzentration aufbauen, verfehlen ihre Wirkung nicht.
Letztlich ist die große Frage, ob sich das Buch nicht vielleicht sogar als eine Art Schwanengesang auf den deutschen Porno entpuppen wird. Es ist ein Buch über Porno-Dreharbeiten, weibliche und männliche Darsteller, Profis und Amateure, Regisseure und Produzenten, sexuelle Fantasien und Sub-Genres wie Gangbang, SM, Fetisch, Swinger, billige Amateurclips, beinahe ausgestorbene Hochglanz-Produktionen, Frauen- und Schwulen-Pornos in Deutschland.
Eckpfeiler des Pornobusiness, die es vielleicht in der heutigen Form dank dem Internet und den veränderten Vorzeichen für die Pornolandschaft nicht mehr lange geben wird. Und so weht immer auch ein Hauch von Wehmut durch dieses großartige Buch, das eigentlich nur einen Nachteil hat: Man wünscht sich ähnliche Bücher für sämtliche Pornohochburgen der Welt. Man will vergleichen, will wissen, wie die Branche in anderen Ländern funktioniert und wie viele althergebrachte Klischees einem ähnlichen "Reiseführer" durch die Welt des internationalen Pornos standhalten würden.
"Porno in Deutschland" ist ein wirklich faszinierendes und hochinteressantes Buch, das eigentlich für jeden Haushalt, wo diverse gute Pornos im Kleiderschrank hinten links versteckt und immer wieder einmal für einen gemeinsamen Filmabend hervorgekramt werden, zur Pflichtlektüre gehört.
Mehr zu Porno in Deutschland
Diese Episode in voller Länge und noch mehr findet ihr in den 23 Stationen der Reise durch ein unbekanntes Deutschland. Aufbereitet in dem Buch "Porno in Deutschland", das ihr ab sofort überall käuflich erwerben könnt.
Porno in Deutschland
Reise durch ein unbekanntes Land
Philip Siegel
Broschiert: 299 Seiten, 43 Farbfotos
Verlag: Belleville; Auflage: 1 (September 2010)
ISBN-13: 978-3923646098