Ich liege mit zwei Männern, die ich erst seit ein paar Stunden kenne, bunt verknäuelt, wir kuscheln wie drei Katzenbabys. Ein weiterer Mann krault mein Bein und ich halte Händchen mit einer jungen hübschen Frau, werde also von vier Seiten gleichzeitig beschmust. Ich bin nicht etwa bei einer wilden Sex-Orgie, sondern bei einer "Rauf- und Kuschelparty".
Autorin: Fuchsseinfetzt
Rauflustig und unterkuschelt
Früher habe ich unheimlich gern mit meinem großen Bruder und mit meinen Freunden und Freundinnen gerangelt. (Nicht immer mit fairen Mitteln, wie ich zugeben muss – Nase anlecken oder in den Zeh beißen sind beim professionellen Raufen vermutlich verboten.) Ich mag das Kräftemessen und auch den Triumph, wenn ich meine Kontrahenten für einen kurzen Moment überwältigen kann.
Als Single bin ich außerdem unterkuschelt, obwohl sich mein Kater Klaus Kinski alle Mühe gibt, dieses Defizit auszugleichen. Als Zeitraum für die Party ist 15-22 Uhr geplant, somit besteht jede Menge Gelegenheit für intensive Rauferei (15-18 Uhr) und hingebungsvolles Schmusen (19-22 Uhr). Ich muss nicht lange überlegen und melde mich für beide Teile an. Es gibt Rabatt, für Raufen und Kuscheln zahle ich zusammen nur 30 Euro Eintritt, einzeln hätten jeweils 20 Euro zu Buche geschlagen.
Mir fällt auf, dass sich deutlich mehr Männer angemeldet haben als Frauen, was bei mir ein leicht mulmiges Gefühl verursacht. Ich frage mich: "Hoffentlich missverstehen die 'Raufen und Kuscheln' nicht als 'Kloppen und Bumsen'?" Ich bin neugierig auf die anderen, befürchte allerdings auch, dass jemand ungepflegt sein könnte, denn ich bin sehr geruchsempfindlich und auch etwas hygiene-neurotisch. In der Ankündigung zur Veranstaltung steht nur, man solle Wechselkleidung mitbringen.
Wozu geht man(n) auf eine Rauf- und Kuschelparty?
Ich glaube, dass Männer oft noch viel weniger Körperkontakt und Streicheleinheiten bekommen als Frauen, die sich auch außerhalb einer Beziehung eher mal bei einer Freundin anlehnen können. Diese Vermutung bestätigen viele der Teilnehmer später, ein gutaussehender Mittdreißiger vom Typ "Schwiegermutterliebling" erzählt mir in der Kaffeepause: "Ich kannte früher nichts zwischen Händeschütteln und Sex". Und ein junger Rastalocken-Träger gesteht: "Meine Eltern haben nie mit mir gekuschelt".
Ich persönlich wünsche mir heute einen mir gewachsenen Raufpartner – also eher einen Holzfäller als eine zarte Elfe. Im Anschluss erhoffe ich mir, Nähe und Berührungen geben und annehmen zu können. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob nicht gerade Letzteres eine ziemliche Herausforderung darstellen könnte: Immerhin kenne ich die "Mitkuschler" dann erst wenige Stunden.
Wir treffen uns in einer schicken Praxis, die sonst für psychologische Beratung und Körperarbeit genutzt wird. Gleich am Eingang bezahle ich den Eintritt. Es riecht nach Füßen, denn hier werden die Schuhe ausgezogen – für mich eine olfaktorische Herausforderung, bei der ich fast wieder umdrehe. In einem großen hellen Raum (dieser duftet Gottseidank angenehm nach grünen Aromaölen) liegt eine etwa 15 m² große Matratze bereit, in Nebenräumen gibt es eine Dusche und eine Teeküche.
Wir sind 20 TeilnehmerInnen zwischen 25 und 50 Jahren mit nun doch überraschend ausgeglichenem Geschlechterverhältnis. Es überwiegen lange Haare und barfüßiger Yogi-Look, fast alle wirken sportlich-schlank, niemand hat ein sichtbares Handicap. Optisch falle ich aus dem Rahmen: Ich bin dezent geschminkt, kurvig und habe nicht den geringsten Hauch von "Öko-Look" an mir, außerdem behalte ich meine Socken lieber an.
Bis auf ein Pärchen scheinen alle allein gekommen zu sein. Trotzdem kennen sich manche untereinander, auch ich entdecke eine ehemalige Mitbewohnerin. Während der Vorstellungsrunde ist noch etwas Anspannung, aber auch Vorfreude und Neugier zu spüren, etwa die Hälfte war noch nie bei einer Raufparty.
Elisa Meyer von der "Kuschelkiste" leitet die Veranstaltung mit ihrem Assistenten Martin. Sie wird nicht mitraufen, sondern als Schutzengel über uns wachen und notfalls eingreifen. Ihre rosa Jogginghose und das weiße Shirt mit Tiermuster könnten auch ein Schlafanzug sein. Sie wirkt entspannt, freundlich und in sich ruhend, dabei aber auch sehr klar in ihren Ansagen, ein bißchen wie eine wohlmeinende Kinderärztin. Ich fasse sofort Vertrauen zu ihr und fühle mich gut aufgehoben. Ihren ganz leichten Akzent kann ich zunächst nicht einordnen, später erzählt sie mir, dass sie aus Luxemburg stammt.
Strenge Regeln!
Elisa erklärt zunächst die Raufregeln:
- Es geht nicht ums Gewinnen, sondern um die spielerische körperliche Auseinandersetzung mit dem anderen Raufbold.
- Wer möchte, tritt in den Ring und fordert einen anderen zum Raufen auf.
- Es rangeln immer nur zwei Personen gleichzeitig, die anderen bilden einen Schutzwall um den Ring, sodass niemand über den Rand der Matte hinauspurzelt.
- Die Knie bleiben am Boden. Haareziehen, in den Schwitzkasten nehmen sowie die Bikinizone sind tabu.
- Man kann jederzeit "Stopp!" sagen, dann lassen der oder die andere sofort los. Auf die Matte klopfen bedeutet: Ende der Runde.
Elisa würde bei Regelverletzungen gegebenenfalls einschreiten, macht aber klar, dass wir alle prinzipiell für uns selbst verantwortlich sind.
Ring frei für Teil eins: die Rauferei!
Es ist faszinierend zu beobachten, wie unterschiedlich die Paare miteinander raufen: Manche "Kämpfe" haben etwas sehr Ästhetisches, wirken fast wie ein Tango oder ein Ballett; andere sind eher raubeinig, es wird auch mal laut und theatralisch geknurrt, gebrüllt und gestöhnt. Teilweise fühle ich mich wie im Löwengehege. Instinktiv entstehen Duos, die sich in den meisten Fällen kräftemäßig ebenbürtig sind.
Es wird fest zugepackt (ich habe am nächsten Tag ein paar kleinere blaue Flecken), gekitzelt, geneckt und geärgert, dabei aber jederzeit sehr auf das Gegenüber geachtet. Die Regeln werden von allen eingehalten. Beim leisesten Anzeichen von Unwohlsein unterbrechen die Paare, mehrfach fragen wir alle uns gegenseitig: "Alles okay?". Die Energie im Raum schwankt erheblich. Oft fiebert man wirklich mit und auch der ein oder andere Anfeuerungsruf wird laut ("Kampf der Titanen!", "Jetzt zeigt sie’s ihm!", "Oh, er hat gut gefrühstückt!", "Ha, die Beinschere des Todes!").
Die einzelnen Raufereien dauern wenige Minuten. In einer einzigen Situation ist Unbehagen im Raum spürbar: Es gibt einen Teilnehmer, der beim Raufen Wolfsgeräusche macht und auch ab und zu leichte "Bisse" andeutet. Er ist in einer Raufrunde mit einer Frau, die ihm körperlich nicht gewachsen ist und in eine Art Beutetierrolle gerät. Das wird schnell etwas ungemütlich anzusehen, aber sie könnte ja jederzeit abbrechen, daher interveniert niemand. (Später in der Abschlussrunde wird diese Situation von mehreren thematisiert, die Teilnehmerin selbst wirkt etwas durcheinander. Elisa betont mehrfach, dass wir uns auch im Nachhinein noch an sie wenden können, falls noch etwas stark in uns nachwirkt.)
Ich stehe zweimal im Ring und raufe jeweils mit einem männlichen Partner, einmal werde ich herausgefordert, einmal fordere ich selbst jemanden auf. Ich habe Angst, dass meine beachtliche Statur auf die meisten abschreckend wirken könnte. Daher suche ich mir einen kräftigen Gegner aus, der mir etwas entgegenzusetzen hat und bereits in vorangegangenen Rangeleien nicht zimperlich gewesen ist.
Das Rangeln macht sehr viel Spaß, ich stelle allerdings fest, wie anstrengend dieser volle Körpereinsatz ist und bin froh, dass ich das Rundenende selbst bestimmen kann. Ich habe später den Eindruck, die eigenen Körperkonturen genauer wahrzunehmen und mir wird bewusst, wie stark ich bin – ein gutes Gefühl. Nach dem Rangeln sind wir alle tiefenentspannt. Während der Buffetpause gehen einige TeilnehmerInnen, dafür stoßen Neue für den Kuschelteil hinzu.
Teil zwei: Kuschelei!
Als wir erneut zum Kreis zusammenkommen, sind wir zehn Männer und acht Frauen. Nun sind auch einige TeilnehmerInnen dabei, die doch deutlich von gängigen Schönheitsidealen abweichen. Ich überlege: Beim Raufen ging es vielleicht einfach um den Spaß, beim Kuscheln hingegen um das Stillen eines wirklichen Bedürfnisses, das Elisa "Berührungshunger" nennt? Es folgt eine zweite Vorstellungsrunde: Viele sind erfahrene Kuschelpartymäuse, ich gehöre zu den wenigen Neulingen. Auch diesmal erklärt Elisa zunächst die Regeln (keine Nacktheit, Berührungen in der Bikinizone oder Küsse) und den Ablauf.
Warm-up: eigene Grenzen wahrnehmen
Wir beginnen mit einer kleinen Meditation, um den eigenen Körper bewusst wahrzunehmen, bevor wir den Anderen näherkommen. Ich liege zwischen zwei Raufbolden aus Teil eins. Normalerweise wäre mir der Abstand zwischen uns viel zu gering, aber ich habe das Gefühl, schon eine gewisse vertrauensvolle Verbindung zu beiden aufgebaut zu haben. Dann kommen wir in Bewegung. Bei wechselnder Musik bauen wir Kontakt auf, begrüßen und umarmen uns, tanzen, hüpfen und lachen miteinander. Dabei komme nicht nur ich ins Schwitzen. Es ist zu warm im Raum, ich drehe die Heizung ab.
Danach folgt eine Übung, bei der die jeweils passiven Partner die Augen schließen. Der Sinn liegt darin, sich nicht so sehr auf das Gegenüber, sondern auf sich selbst und seine Bedürfnisse zu konzentrieren. Wir üben, zu wechselnden Berührungsangeboten Ja oder Nein zu sagen. Dabei lernen wir: Ein "Nein" ist keine generelle Ablehnung des anderen, sondern bedeutet nur "Ich möchte diese Berührung jetzt gerade nicht". Eine Erkenntnis, die mir auch für mein Alltagsleben sehr wertvoll erscheint, denn ich habe oft das Gefühl, von anderen überrannt zu werden und meine Grenzen nicht gut behaupten zu können.
Mein erster Partner fragt sofort: "Darf ich deine Haare kraulen?". Es ist mir unangenehm abzulehnen, aber schon die Vorstellung ist mir ein Graus, deshalb antworte ich: "Lieber nicht". Er reagiert etwas eingeschnappt mit "Na, das fängt schon mal gut an!" und ich denke mir: "Oh je, das kann ja heiter werden." Trotzdem bin ich froh, diese Grenze gezogen zu haben. Mit anderen verläuft die Übung zum Glück harmonischer, ein zartes Streicheln über meine Arme und später über meine Beine finde ich äußerst angenehm.
Das Leben ist doch ein Wunschkonzert!
Nach einer kurzen Pause komme ich als Bummelletzte zurück. Alle anderen haben sich schon zu Paaren für die nächste Aufgabe zusammengefunden. Der einzig übriggebliebene Partner fühlte sich schon bei den vorigen Einheiten sichtlich überfordert und möchte nicht mit mir spielen. Zum Glück springt der Assistent Martin ein.
Wir haben nun die Gelegenheit, uns konkrete Berührungen zu wünschen. Ich übernehme zunächst den aktiven Part, denn es fällt mir leichter, jemanden anzufassen, als selbst berührt zu werden. Martin wünscht sich, an Kopf, Nacken und Schultern gekrault zu werden, was ich sehr gern erfülle. Auch er hat einen leichten Schweißfilm auf der Haut, was mich jedoch nicht stört. Eher sorgt es dafür, dass ich meine eigene Schwitzphobie etwas entspannter sehen kann.
Ab und zu ist in der Runde ein wohliges Seufzen zu hören. Als ich mir Berührungen wünschen darf, tue ich mich damit relativ schwer. Es kommt mir zunächst komisch vor, spezifische Wünsche ("Ich hätte gern lieber Streicheln als Kraulen.") zu äußern, aber Martin bleibt entspannt und irgendwann sind wir sehr innig und vertrauensvoll aneinandergekuschelt. Auch das ist eine Erfahrung, die ich gern in mein Alltagsleben mitnehmen möchte: Ich will in Zukunft noch klarer kommunizieren, wie und wo ich (nicht) berührt werden möchte.
Freestyle-Kuscheln
Nun folgt für eineinhalb Stunden das freie Kuscheln: Es wechseln sich für mich aktives Schmusen, Gehalten-Werden und Anschmiegen mit verschiedenen PartnerInnen ab. Nach einer Weile verwandelt sich die gesamte Gruppe in ein ziemlich unübersichtliches Kuschelknäuel, bei dem nicht immer ganz klar ist, wessen Hand man gerade hält oder welches Bein wem gehört. Berührungsängste gibt es auch zwischen den Männern nicht mehr. Es herrscht eine sehr angenehme Atmosphäre der Geborgenheit, zu keinem Zeitpunkt fühle ich mich bedrängt oder überfordert. Ein erotisches Knistern liegt für mich nicht in der Luft, was wesentlich zu meiner Entspannung beiträgt.
Als uns Elisa langsam zurück in die Realität holt, strahlen alle vor Freude. Bei der Abschlussrunde ist viel Dankbarkeit und Glück zu spüren, die meisten bleiben auch noch miteinander auf Tuchfühlung, umarmen sich. Ich merke, dass ich sehr zufrieden, aber nun auch sattgekuschelt bin.
Was bleibt?
Zuhause bin ich überrascht, wie viel Nähe und Intimität ich mit Fremden erfahren durfte und wie sehr ich diese genossen habe. Ich finde es schade, dass unter Erwachsenen (und ganz besonders Hetero-Männern!) Berührungen oft nur in einem sexuellen Kontext stattfinden. Es war mir nach kurzer Eingewöhnungsphase nicht mehr wichtig, ob jemand für mich persönlich attraktiv ist. Stattdessen herrschte eine bedingungslose Akzeptanz, die die Rauf- und Kuschelparty für mich zu einer außergewöhnlichen und wertvollen Erfahrung machte. Ich plane, gute Freunde und Freundinnen zu ähnlichem anzustiften und auch häufiger bewusst mit ihnen zu kuscheln. Vielleicht raufen wir davor sogar!
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