Porno in Deutschland hat eine bewegte Geschichte. 1973 wurde Pornografie in Deutschland freigegeben. Pornos machen konnte man nur – im Gegensatz zu heute – wenn man Geld hatte. Es war eine Zeit des Aufbruchs, es entstand ein völlig neues Filmgenre. Was war das für eine Zeit, in der es in Deutschland Pornofilme gab, die fast eine Million Mark kosteten? Für sein Buch Porno in Deutschland begab sich Autor Philip Siegel auf Spurensuche …
Autor: Philip Siegel
"Meine Filme, das sind die mit den Haaren."
In München treffe ich für mein Buch "Porno in Deutschland" den Produzenten Marcus Otto. Er ist der Sohn des legendären Produzenten und Regisseurs Gunter Otto, der auf seine Art Filmgeschichte geschrieben hat. Wenn der Sohn, Marcus Otto, gefragt wird, mit welcher Art Filmen er sein Geld verdient, dann sagt er: "Meine Filme, das sind die mit den Haaren." Pornografie in Deutschland hat eine Geschichte. Und es gab mal eine Zeit, in der Pornodarsteller nicht rasiert waren. Zu seiner Kundschaft meint Marcus Otto realistisch: "Die stirbt aus." Sein Geschäft besteht darin, die alten Filme neu auf DVD herauszubringen.
An der S-Bahn Haltestelle München-Ottobrunn gabelt mich Otto mit seiner blank polierten SEL-Mercedes Limousine auf. "Schicker Wagen", sage ich. Wir fahren zu seinen Geschäftsräumen. Die Firma "Herzog-Film" hat einen Namen, der dabei ist, in Vergessenheit zu geraten. Ein Name mit Tradition, aber ohne vielversprechende Zukunft. "Sowas wie Grundig, nur halt in Porno", meint Otto. Bevor Porno in Deutschland Mitte der 70er Jahre groß rauskommt, bringt der Herzog-Filmverleih deutsches Kulturgut unter die Leute: die "Sissi"-Filme und "Der Tiger von Eschnapur", Romy Schneider und Paul Hubschmid.
Ende der 60er-Jahre kauft der Sex-Filmer Gunter Otto den Namen und macht ihn zu dem, wofür er heute immer noch steht. Sex- und Pornofilme, das ist die Leidenschaft von Gunter Otto. Marcus' Vater war Pornoproduzent mit Leib und Seele. Der Sohn erinnert sich an Gelage, Orgien, Besäufnisse im Haus seiner Eltern. "Mein Vater war so, wie man sich einen Pornoproduzenten vorstellt."
Zeitreise: Die Sexfilm der 70er Jahre
Gunter Otto, der Vater, dreht nicht nur Pornofilme, er lebt auch wie in einem. Er ist einer der Großen, ein Haudegen, einer, der Millionen scheffelt und sie schneller wieder ausgibt, als sie reinkommen. Er fliegt mit dem halben Team zum Mittagessen nach Rom, kauft Villen, Autos, wie andere Zeitschriftenabos, und führt die Firma mit logischer Konsequenz in den Konkurs. 1999 stirbt Gunter Otto an den Folgen eines Schlaganfalls – in den Jahren zuvor schreibt er Filmgeschichte.
Als Produzent und Regisseur erfindet er legendäre Reihen: "Lass jucken, Kumpel Teil 1-5" (1972-74), "Liebesgrüße aus der Lederhose Teil 1-7" (1972-89), "Die Memoiren der Josefine Mutzenbacher Teil 1-6" (1976-88), alles Otto-Filme. Dazu kommen Filme wie "Kasimir, der Kuckuckskleber" (1977), "Rosemaries Schleckerland" (1978), "Heiße Löcher, geile Stecher" (1979) und "Die Samenräuberinnen" (1981). Zu den Sex-Filmen zählen die Reihen "Lass jucken, Kumpel" (ausgenommen Teil 5) und "Liebesgrüße aus der Lederhose" – als Pornos gelten die anderen Filme.
Der Sexfilm verliert seine Unschuld
Mit dem fünften Teil der "Lass jucken"-Saga verlässt Otto dann das Terrain des Sexfilms, er dreht seinen ersten echten Pornofilm. Der Sexfilm hatte seine Unschuld verloren, von nun an gibt es nicht mehr nur nackte Körper zu sehen, die sich in Betten wälzen und dabei mitunter seltsame Verrenkungen ausführen, damit man nicht sehen kann, dass es etwas zu sehen gibt. Jetzt erobert der Porno die deutschen Leinwände, mit Frauen und Männern, die es in vertrauten und bekannten Räumen, Kulissen und Landschaften miteinander treiben. Die Kamera zeigt, was bis dahin verboten war: das, was man den eigentlichen Geschlechtsverkehr nennt. Alles groß und deutlich und in Farbe!
1973, mit dem neuen Porno-Paragraphen, ist es also offiziell und erlaubt. Der Durchbruch. Zu verdanken haben Macher und Konsumenten die Eroberung neuen Terrains des sexuell Darstellbaren einer Gesetzesinitiative, die gründlich nach hinten losging. Dazu der Filmhistoriker Georg Seeßlen in seinem Standardwerk "Der pornographische Film", dem einzigen Buch in deutscher Sprache, das den Porno als ein eigenständiges, historisch aufzuarbeitendes Genre würdigt:
"Während in den Jahren zwischen 1974 und 1976 eine gesellschaftliche und vor allem juristische Reaktion gegen die Sexfilme entstand und eine Welle von Beschlagnahmungen die Besitzer 'normaler' Kinos davon abhielt, weiter ihr Programm mit Sexfilmen zu füllen, nützte eine neue Form von Kinos eine Lücke im bundesdeutschen Sexualstrafrecht. Danach war die Vorführung pornographischer Filme gestattet, wenn der Eintritt überwiegend nicht für den Film, sondern für Getränke oder etwas anderes (zum Beispiel Magazine) entrichtet wurde."
Porno wird salonfähig
Die Hoffnung, die man mit dieser Maßnahme verbunden hatte, nämlich den Pornofilm aus den Fußgängerzonen heraus zu halten und in die Rotlichtbezirke abzudrängen, schlug auf grandiose Weise fehl. Der Filmverleih von Beate Uhse, geleitet von ihrem Sohn Uli Rothermund, "hatte etwa 60% Marktanteile. Beliefert wurden im Jahr 1980 rund 350 Kinos mit einem Stock von 55 abendfüllenden Spielfilmen. 12 Millionen Besucher zählte man in diesem Jahr." In Deutschland wurde das Produzieren von Pornofilmen lukrativ, weil die Rechte an den Filmen aus den USA derart teuer waren, dass sich ihre Auswertung nur bedingt lohnte. Die Zahl der Menschen, die hierzulande Pornos sehen wollte, war immens angestiegen. Seeßlen weiter:
"1976 waren es immerhin 23 Millionen Zuschauer, die in den Pornokinos Filme sahen. In dieser Zeit entwickelte sich auch eine einigermaßen bedeutende deutsche Produktion. Zwischen 1977 und 1982 gab es so etwas wie eine 'goldene Zeit' für den deutschen pornographischen Film."
Zu der großen Zeit des Pornofilms in Deutschland merkt der Publizist Seeßlen an, dass "in der Diskussion um den pornographischen Film – um seinen Charakter, seine Funktion und seinen Inhalt – fast immer davon abgesehen wird, dass es in Europa das Genre in seiner 'öffentlichen' Form erst mit der Durchsetzung der amerikanischen Erzeugnisse gibt."
"Deep Throat" krönt den Siegeszug der Pornografie
Im "New Mature World Theatre" am Times Square beginnt im Sommer 1972 in New York der Siegeszug der Pornografie. Das Kino zeigt billige explotations, krude Gewaltfilme mit viel nackter Haut, und wird dann Uraufführungsort von "Deep Throat".
Der Regisseur Gerard Damiano erzählt die Geschichte von Linda, einer jungen Frau, die an ihrer Unfähigkeit zum Orgasmus leidet. Erst als ein Arzt entdeckt, dass sich ihre Klitoris im Hals verbirgt, blüht Linda auf. Sie entdeckt das Schwanzlutschen für ihre Lustbefriedigung – wovon nicht nur sie etwas hat, sondern auch die zahlreichen Männer, die ihr über den Weg laufen.
Einen Porno-Spielfilm hatte es noch nicht gegeben. Der filmisch abgebildete Geschlechtsakt war bis dahin reine Privatsache gewesen. Mit minimalem Aufwand gedreht, oft in schwarz/weiß, beschränkten sich die meist kurzen Streifen auf den Sexualakt, die, nicht selten mit diffamierendem Unterton und lieblos in Szene gesetzt, bei Junggesellenabenden oder in privaten Clubs gezeigt wurden, stets mit der Angst im Nacken, entdeckt und von den Behörden bestraft zu werden. Wie groß der Damm war, den "Deep Throat" dann im amerikanischen Sommer 1972 zum Einsturz brachte, stellt Seeßlen mit Zahlen heraus:
"Wenn man bedenkt, dass in der Zeit zwischen 1915 und 1970 nach Schätzungen von Filmhistorikern etwa 1800 pornographische Filme hergestellt worden sind, so wird man sich des Ausmaßes dieses Pornobooms bewusst, wenn man weiß, dass nach 1970 zwischen 500 und 700 Filme pro Jahr gedreht wurden."
2011 dürften es weltweit über 30.000 Filme gewesen sein. Für viele schien damals ein Traum in Erfüllung zu gehen. Plötzlich wird die Sexualität der Menschen für alle sichtbar auf der großen Leinwand und damit zu einem Ereignis in der Öffentlichkeit. Es wird nicht länger um die "eine Sache" drumherum geredet, das ewige Versteckspiel mit der Zensur scheint beendet, plötzlich bekennen sich Menschen in aller Öffentlichkeit dazu, sich geile Bilder ansehen zu wollen. Linda Williams, Feministin und Filmtheoretikerin, bringt es in ihrem Buch "Hard Core" auf den Punkt, wenn sie schreibt:
"Zum ersten Mal in der Geschichte des amerikanischen Kinos trat ein für die Handlung bedeutungsvoller Penis 'in Aktion', und dies völlig legal auf der großen Leinwand eines konzessionierten Kinos."
Und Seeßlen streicht die soziale Kraft heraus, die diesem Film innewohnte: "'Deep Throat' einigte wie wenige andere kulturelle Ereignisse die amerikanische Nation; jung und alt, Menschen aller Rassen, Frauen und Männer, die Armen und die Reichen sahen 'Deep Throat' und sprachen darüber. 'Deep Throat' wurde zu einer Art Kultveranstaltung, die nach Kräften popularisiert wurde, nachdem man erst einmal das ökonomische Potential erkannt hatte."
Es gibt Berichte, die von langen Schlangen vor dem "New Mature World Theatre" erzählen, von Frauen, die mit ihren Männern Einlass begehren, Paaren, die mit ihren Eltern am Ereignis teilhaben wollen. Der Stein war ins Rollen gebracht. Dazu stellt Williams fest:
"Obwohl das 'New Mature World Theatre' im März 1973 per Gerichtsentscheid geschlossen wurde, hatten allein in New York eine Viertelmillion Zuschauer den Film gesehen, und er hatte einen Bruttogewinn von über einer Million Dollar eingespielt."
Manche behaupten, "Deep Throat" sei im Vergleich zu seinen Produktionskosten einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten. 600 Millionen Dollar Einspielergebnis werden bisweilen geschätzt. Wie viel es wirklich war, lässt sich nur schwer nachvollziehen, zumal dem Regisseur Verbindungen zur Mafia nachgesagt werden, die die Gelder zum Teil in ihre Kanäle gelenkt haben soll. Aber festhalten lässt sich, dass im Sommer 1972 der Siegeszug der Pornografie beginnt. Mit "Deep Throat" gibt es ein neues Genre: den Porno.
Die 80er Jahre: Video macht den Porno jederzeit verfügbar
Pornokinos sind bis tief in die 80er fester Bestandteil jeder Großstadt. Allein in Köln gab es vier Kinos, die ausschließlich Pornografie zeigten. Heute wirtschaften dort Restaurants, Bars, eine Kleinkunstbühne. Pornografie auf VHS und dem nicht mehr existierenden Beta-Format von Sony hatten für das Genre und die Menschen, die die Filme kauften, vielfältige Auswirkungen. Es gab Pornofilme, deren Etat die Millionen-Grenze streifte, so "Rasputin – Orgien am Zarenhof" (1983) oder "Katharina und ihre wilden Hengste" (1983). Diese Filme schwelgen in epischen Bildern, historischen Kulissen und ließen ganze Reiterheere durch die Taiga galoppieren. Es werden Orgien zelebriert in verschwenderischer Ausstattung.
Mit dem Aufkommen der Videotechnik können Pornofilme dann billiger hergestellt werden. Für das zentrale Anliegen eines Pornos reichen bescheidenere Produktionsverhältnisse vollkommen aus. Dass damit auch das Erzählen einer Geschichte verschwindet, mag aus heutiger Sicht für viele gar nicht mehr als Verlust gedeutet werden. Aber nicht nur die finanzielle Ausstattung befand sich im Sinkflug, auch der formale und ästhetische Erfindungsreichtum litt durch das sinkende Kostenniveau und dem damit einhergehenden Konkurrenzkampf, der zunehmend darauf abzielte, auf niedrigem Niveau erfolgreiche Konzepte zu kopieren und weniger Risiko einzugehen.
Es hat Leute gegeben, die in den 70er Jahren dachten, das Porno-Genre könne zu einer anerkannten, eigenständigen Filmgattung werden. Die Budgets waren hoch, es gab Stars, die mit ihrem Namen die Massen in die Kinos lockten, und ein professionell geführtes Vertriebssystem sorgte für die reibungslose Bestückung zahlreicher Kinos.
Als erkennbar wird, dass immer mehr Videorekorder in deutschen Wohnzimmern die Sehkultur verändern, gibt es noch letzte Versuche, dem Untergang des "großen" Pornofilms entgegenzuwirken. In den Kinos wurden Dolby-Stereo-Systeme verbaut, die dem Gestöhne auf der Leinwand eine zusätzliche akustische Dimension verschaffen sollten. Ein Produzent überlegte gar, die Stühle in den Kinos derart aufzurüsten, dass sie die rhythmischen Bewegungen der Darsteller nachvollziehbar machen sollten. Aber das waren Rückzugsgefechte.
Die Videokassette raubt dem Pornofilm seine gesellschaftliche Besonderheit. Pornografie büßt ihre kulturelle Ausnahmeposition ein. Sie verschwindet aus den Kinos und macht sich in den Videotheken breit. Aus dem Premium-Produkt wird ein Gebrauchsgegenstand unter anderen.
Ende der 80er Jahre tritt die alte Garde ab: Gunter Otto, Alan Vydra, Alois Brummer, Hans Billian, Werner Ritterbusch. Jetzt übernimmt die nächste Generation die Geschäfte. Pornografie wird zu einem Massenartikel.
© Philip Siegel
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