Karolina: Vorstandsmitglied einer Beratungsstelle für ProstituierteEin Auszug aus "Sexworker"

Pass bloß auf, dass Du nicht SO EINE wirst, wurde Karolina Leppert immer von ihrer Mutter gewarnt. Was genau das zu bedeuten hatte, war ihr damals nicht klar. Aber ihre Mutter wäre lieber gestorben als einen so unsäglichen Begriff wie "Prostituierte" über ihre Lippen kommen zu lassen. Trotzdem (oder gerade deswegen?) war Karolina neugierig auf das, was sich dahinter verbarg. Schon als Kind hat sie den Gesprächen der Erwachsenen zugehört und hat viel darüber nachgedacht: Jungen sollen sich austoben und Mädchen sich bewahren. Wenn es ungefähr gleich viele Jungen und Mädchen gibt, wo holen sie denn dann die Mädchen her, mit denen sie sich austoben? Und warum reden die Erwachsenen so schlecht über diese Mädchen? Die sind doch anscheinend genauso wichtig wie die, die sich bewahren. Aber es gab keinen Menschen, mit dem sie darüber sprechen konnte. Und obwohl sie keine Ahnung von dem Thema Prostitution hatte, spürte sie bereits eine innere Solidarität mit denen, die ihre Mutter SO EINE nannte.

"Sexworker" - 33 Frauen, die mit Lust arbeiten
"Sexworker" - 33 Frauen, die mit Lust arbeiten

Sie erinnert sich da an ein Schlüsselerlebnis. Es war Sommer, die Familie sitzt mit den Nachbarn im Garten unter einem Apfelbaum, ein Bild der heilen Welt. Sie war vielleicht 10 oder 11 Jahre alt, hörte der lockeren Unterhaltung zwischen den Erwachsenen zu. Man war sich darüber einig, das Ziel der Erziehung eines Mädchens sei Sparsamkeit und ein guter Ruf. Das kleine Mädchen konnte gerade so über die Tischkante gucken und erinnert sich noch gut an die Gesichter der Männer aus der Verwandtschaft und den Nachbarn und an diesen wissenden Blick, den sie sich zuwarfen. Damals dachte sie: Klar, ein Mädchen muss lernen zu sparen, damit der Herr des Hauses sich was leisten kann. Und sie fragte sich, wer steht eigentlich auf der besseren Seite? Und auf welcher wollte sie stehen? Die hochgelobten Ehefrauen oder die Mätressen? Was hat die ehrenvolle Ehefrau davon, dass der Angetraute ihr die dampfenden Socken vor die Füße schmeißt? Das hat sie zwar nicht daran gehindert sich zu verlieben und zu heiraten. Aber irgendwo war da Zeit ihres Lebens immer der Wunsch, diese Welt mehr zu durchschauen.

Den Wunsch hat sie sich mittlerweile erfüllt. Heute arbeitet sie ehrenamtlich als Vorstandsmitglied bei Hydra e.V., einer Beratungsstelle für Prostituierte.

Die 68-Jährige hat ein bürgerliches Leben hinter sich. Sie hat Großhandelskauffrau gelernt, war dann u.a. im Außendienst einer Versicherung und im Marketing von verschiedenen Rundfunksendern tätig. Sie war verheiratet, hat eine Tochter und ist mittlerweile Großmutter von zwei Enkeln. Ihr zweites Leben begann, als sie nach der Scheidung im Winter 1992 nach Berlin zog. Die Wiedervereinigung war damals in vollem Gange und sie war ganz fasziniert von den Veränderungen, die dort stattfanden. Der Beginn war hart. Damals war der Winterhimmel in Berlin wegen der vielen Holzkohleöfen gefühlt viel grauer als heutzutage. Sie landete in einer untervermieteten Wohnung, in einem Viertel, das eher rau als freundlich war. Als Neuling in Berlin ohne soziales Umfeld, ohne einen Freundeskreis – ein schwieriger Start in ein neues Leben. Es dauerte lange, bis sie sich einzuleben begann.

In einer Stadtteilzeitschrift las sie dann zufällig etwas über die Beratungsstelle Hydra. Die alte Neugier erwachte wieder in ihr. Sie ging zu einer Beratungsstunde und erklärte der Beraterin, dass sie gerne in die Welt der Prostitution hinein schnuppern würde. Noch heute amüsiert sie sich über die Reaktion. Die Beraterin fragte sie damals: Hast du Schulden? Hast du einen Mann der dich zwingt? Beides konnte die damals 50-Jährige verneinen. Daraufhin gab die Beraterin ihr die Empfehlung, es doch erst einmal mit einer Therapie zu versuchen.

Aber Karolina blieb zäh, trotz ihrer Angst vor Zuhälterei, Drogen und Kriminalität. Sie wollte mehr wissen und suchte das Gespräch mit anderen Frauen, die sie bei Hydra kennenlernte und bekam so einen Einblick in die Realität jenseits aller Vorurteile und Ängste. Etwas hielt sie davon ab, den endgültigen Schritt in die Prostitution zu tun. Was das war, wurde ihr bei einem Gespräch mit einer Frau klar, die als Domina arbeitete; diese Tätigkeit war ihr vorher unbekannt gewesen. Dominas dulden keinen Körperkontakt, sie halten den Mann auf Distanz und sind die absoluten Beherrscherinnen der Situation - die Erkenntnis kam blitzartig - das ist ihre Welt!

Das Buch bestellen