NymphomaniacSkandalöser Pornofilm oder Meisterwerk?

"Nymphomaniac", der bereits vorab vieldiskutierte neue Film von Regisseur Lars von Trier und Tagesgespräch auf der diesjährigen Berlinale, schildert in zwei Teilen wild und poetisch die erotische Lebensreise einer Frau, die sich selbst als Nymphomanin bezeichnet. Ins Gerede kamen dabei vor allem die pornografischen Szenen des offenherzigen Films. Wir haben Teil 2 von "Nymphomaniac", der am 3. April 2014 in den deutschen Kinos anläuft, für euch genauer unter die Lupe genommen und waren leider ein wenig enttäuscht…

Der Trailer zum zweiten Teil von "Nymphomaniac"

"Nymphomaniac Teil 2" und die berühmtesten Nymphomaninnen

"Nymphomaniac Teil 2" Copyright aller Bilder: Concorde Filmverleih
"Nymphomaniac Teil 2" Copyright aller Bilder: Concorde Filmverleih

Wir erinnern uns: Am Ende von "Nymphomaniac Teil 1" stellt Joe nach dem Sex mit Jerome ernüchtert fest, dass sie nichts fühlen könne. Der Sex verschaffe ihr keine Befriedigung, obwohl sie endlich mit dem Mann schlafe, in dem sie ihren Traumpartner ausgemacht hat. Und schließlich mache die Liebe den Sex perfekt, wie ihre Freundin B. zu berichten wusste. Was stimmt also nicht mit Joe? Genau an diesem Punkt setzt "Nymphomaniac Teil 2" die Handlung nahtlos fort.

In einer der besten Szenen, die den zweiten Teil quasi einleitet, berichtet Joe nun ihrem Zuhörer Seligman von ihrem schönsten Orgasmus. Diesen hatte sie schon als Kind. Sie lag im satten grünen Gras und lauschte den Geräuschen der Natur, als es sie plötzlich überkam. Sie begann auf einmal über der Wiese zu schweben und zwischen ihren Beinen brach ein güldenes Licht hervor. Ein Spontanorgasmus, wie Seligman gewohnt kühl und analytisch feststellt, jedoch einer, bei dem der kleinen Joe zwei rätselhafte Frauen erscheinen. Während Joe in einer sogar die Jungfrau Maria erkannt haben will, rückt Seligman ihr Weltbild sofort wieder gerade: Immerhin handele es sich bei der einen Frau, die laut Joe auf einem Bullen ritt, um die Hure von Babylon und die andere Dame sei Valeria Messalina gewesen, die promiske Ehefrau des römischen Kaisers Claudius. Beide ausgewiesene Nymphomaninnen…

"Nymphomaniac Teil 2" und seine finalen Kapitel rund um Lust und Frust

Das sitzt! Ein Auftakt nach Maß! Lars von Trier beginnt den zweiten Teil seines Opus Magnums "Nymphomaniac" also genauso wundervoll humorvoll, wie es ihm in seinem ersten Teil beinahe durchgehend gelungen ist. Und man fühlt sich auch nach gut einem Monat Abstand zwischen Teil 1 und Teil 2 sofort wieder heimisch in der Welt von "Nymphomaniac". Doch mit zunehmender Laufzeit schwindet dieses gute Gefühl… Doch der Reihe nach:

Kapitel 6: Die Ostkirche und die Westkirche

Untertitel: Die stille Ente

Nach den ernüchternden Erlebnissen im Liebesspiel mit Jerome versucht Joe ihre Sexualität wieder anzuschieben. Und Jerome leistet ihr emsig Schützenhilfe. Doch je verzweifelter Joe ihrem Orgasmus hinterherjagt, umso verzweifelter wird auch Jerome und fühlt sich in seiner Männlichkeit gekränkt. Strukturen und Ordnung, ein geregeltes Familienleben und ein Kind bringen Jerome und Joe ebenfalls nicht voran. Zwar bemüht sich Joe zumindest um das gemeinsame Kind, wirkliche Liebe scheint sie zu ihm aber nicht zu entwickeln. Irgendwann resigniert Jerome und sieht ein, dass er die Bedürfnisse Joes nicht erfüllen kann…

Du meinst, dass ich auch mit anderen Sex haben soll?

Von diesem Freifahrtschein macht Joe sogleich ausgiebig Gebrauch, was beiden letztlich aber so gar nicht aus der Misere hilft...

Kapitel 6.1: Die gefährlichen Männer

Wer darf in welches Loch?
Wer darf in welches Loch?

Von Trier spannt nun innerhalb des sechsten Kapitels eine Art Unterkapitel auf und lässt Joe auf insgesamt drei Männer stoßen. N und dessen Bruder sind Afroamerikaner, mit denen Joe eher unfreiwillig ihr erstes Sandwich erleben soll. Erfüllend wird der Abend für sie nicht, da sich ihre beiden Liebhaber darüber zerstreiten, wer in welches Loch darf.

Kurz darauf lernt Joe K kennen. K ist eine Art Dienstleister, der in einem Kellerraum seine Klientinnen nach deren Gusto und mit deren Einverständnis schlägt und auspeitscht. Er unterbreitet Joe drei Regeln:

 
1. Regel: Ich ficke sie nicht! 2. Regel: Es gibt kein Safeword!

Regel 3 dreht sich um den Fakt, dass Joe immer verfügbar zu sein hat, wenn K sie zu sich bestellt. Und so sehr Joe die Begegnungen mit K auch genießt und aus dessen schmerzhaften Zuwendungen wieder Befriedigung zu ziehen vermag, so sehr führt dessen Regel 3 in eine unvermeidbare Katastrophe: Denn der Babysitter für Baby Marcel kann nicht so beständig vor Ort sein, wie Joe es brauchen würde. Als Marcel beinahe in den Tod stürzt, zieht Jerome einen Schlussstrich...

Das sehr lange, formal mittels Unterkapiteln und -überschriften interessant zerlegte sechste Kapitel deutet schon an, wie sehr sich Teil 2 von "Nymphomaniac" im Ton verschieben wird. Zu Beginn kann von Trier noch viel von dem Humor lancieren, der Teil I so unterhaltsam zu machen wusste. So zieht Seligman wieder schräge Analogien, die von Trier diesmal auch augenzwinkernd ironisiert. Doch im Großen und Ganzen wird "Nymphomaniac" allmählich deutlich schwerer.

Joe lässt sich in "Nymphomaniac Teil 2" von K in die Welt des SM einführen.
Joe lässt sich in "Nymphomaniac Teil 2" von K in die Welt des SM einführen.

Leider entzaubert von Trier in diesem Kapitel den wichtigen Charakter Seligman, gerade als müsse er auf Biegen und Brechen erklären, warum sich der angenehm sympathische Zuhörer so unvoreingenommen auf Joe einlassen kann. Inszenatorisch schwankt die Episode zwischen intimen, wackligen Aufnahmen aus dem Miteinander von Joe und Jerome und starren Einstellungen bei dem sehr systematisch und geordnet vorgehenden Dom K. Am Interessantesten an der Episode ist, dass von Trier nicht den üblichen Klischees erliegt und seinen SM-Abschnitt nicht in Lack, Leder und Folterutensilien absaufen lässt. Ihm reichen ein nüchternes Kellerzimmer, ein Sofa, ein Sessel und ein Spind mit Fesselmaterialien. Als K hat Jamie Bell ("Billy Elliot") seinen wahrhaft eindrücklichen und stark gespielten Auftritt im Film. Zudem übernimmt nun die ebenfalls fantastisch spielende Charlotte Gainsbourg die eigentliche Hauptrolle der Joe.

Kapitel 7: Der Spiegel

In diesem leider viel zu kurzen Kapitel läuft "Nymphomaniac" noch einmal zu alter Form auf: Joe schließt sich einer Selbsthilfegruppe für Sexsüchtige an und bekommt nahe gelegt, alles aus ihrem Leben zu entfernen, was sie erregt. In den folgenden wundervoll absurden Momenten sind wir dabei, wie Joe ihre Wohnung sexfrei macht… und am Ende dennoch endlich zu sich selbst steht:

Ich bin ein Nymphomaniac und ich liebe mich dafür … und ich liebe meine Möse!

Kapitel 8: Die Waffe

Willem Dafoe als Chef von Schuldeneintreiberin Joe
Willem Dafoe als Chef von Schuldeneintreiberin Joe

Das letzte Kapitel von "Nymphomaniac Teil 2" dreht sich um P. P ist ein junges Mädchen, das Joe bei sich aufnimmt, während sie als Schuldeneintreiberin arbeitet und auf Geheiß ihres Chefs einen Nachfolger heranziehen soll. P erweist sich als sehr talentiert und befriedigt in Joe das immer mehr aufkeimende Bedürfnis nach Gesellschaft. Eines Tages stehen beide vor dem Haus des verschuldeten Jerome. Joe bringt es nicht fertig, jenen zur Zahlung zu "motivieren", wie sie es sonst tut. Deshalb schickt sie P vor. Diese handelt mit Jerome ein Rückzahlungsmodell aus, das sie zwingt, immer wieder bei ihm vorbeizuschauen. Dies macht Joe irgendwann rasend und sie empfindet, was sie noch nie gekannt hat: Eifersucht! Auf P, weil sie ihrem Jerome so nah ist, und auf Jerome, weil er vermutlich ihre P fickt. Als sich ihr Verdacht bestätigt, greift Joe wütend zur Waffe…

Das letzte, im grobkörnigen Look dargereichte Kapitel von "Nymphomaniac Teil 2" zieht sich lang dahin. Aller Esprit scheint aus "Nymphomaniac" gewichen und das erneute Zusammentreffen von Joe und Jerome wirkt doch arg hingebogen und unglaubwürdig. Auch das Verhältnis zwischen Joe und P wirkt seltsam diffus. Der zuverlässige Willem Dafoe ("Antichrist") wird in einer winzigen Rolle verheizt und wenn von Trier eine Nymphomanin mit einem Pädophilen gleichsetzt, ist das ganz schön starker Tobak. Zumindest bringt diese Sequenz eine starke Textzeile hervor:

Joe und ihre Schutzbefohlene P
Joe und ihre Schutzbefohlene P
Sexualität ist die stärkste Kraft im Menschen!

Die große Frage, die sich vor allem während des letzten Kapitels mehr und mehr stellt, ist: Wir waren dabei, wie Joe voller Verve gelernt hat, sich selbst so zu akzeptieren wie sie ist. Außerdem hat sie Mittel und Wege gefunden, für ihre Verhältnisse gut zu leben. Warum muss dann gegen Ende der bisher so tolle Humor komplett aus dem Film weichen? Und das zugunsten einer eher schwachen Dramatisierung der Ereignisse, die nun natürlich den Bogen zu den ersten Szenen in Teil 1 schlagen soll.

"Nymphomaniac" und sein diskussionswürdiges Ende

Kurzum: "Nymphomaniac" behindert sich mehr und mehr selbst in seiner Wirkung. Von Trier lässt seine Figuren über Demokratie und Scheinheiligkeit palavern und psychologisiert, wo es das nicht gebraucht hätte. Auch kommt sein Umschwenken auf ein neues Problemfeld etwas ungelenk daher. Ging es zunächst noch um die Angst, nichts mehr zu fühlen oder einer inneren Leere anheim zu fallen, geht es in Teil 2 zunehmend um Einsamkeit. Doch dieses Motiv bekommt der Regisseur nie glaubwürdig in den Film implementiert.

"Nymphomaniac Teil 2" wird so immer mehr zu einem typischen von Trier Film. Alles seltsam verkopft, schwerer, weniger gut zugänglich (obwohl der Film nach wie vor des Dänen leichtester Film bleibt!) und in manchen Momenten arg selbstverliebt (etwa wenn von Trier Szenen aus "Antichrist" fast eins zu eins kopiert, dabei aber gekonnt mit den Erwartungen der Zuschauer spielt, die dieses Werk von ihm kennen).

Schade ist auch, dass große Darsteller wie Willem Dafoe mit Winzrollen abgespeist werden und dass die Beziehung von Joe zu ihrer Mutter wider Erwarten kein Stück thematisiert wird. Formal bleibt das Projekt "Nymphomaniac" in Teil 2 reizvoll, spielt mit verschiedenen Formaten und der untermalenden Musik, wirkt aber nicht mehr so durchdacht und verspielt wie der erste Teil.

Joe und Jerome in frühen, irgendwie glücklichen Tagen.
Joe und Jerome in frühen, irgendwie glücklichen Tagen.

Und auch die offenherzigen Szenen pegelt von Trier für "Nymphomaniac Teil 2" deutlich zurück. Dennoch gibt es einiges zu sehen. Steife Schwänze und Muschis in Großaufnahme, ein Blowjob und unser Conny Dachs hat tatsächlich erneut einen kleinen Auftritt. Diesmal als ausgepeitschter Schuldner.

Das größte Problem des zweiten Teils und damit gleichzeitig des Gesamtprojektes "Nymphomaniac" ist aber sein Ende. Hier ist von Trier wieder viel zu sehr in seinem Element, indem er die integerste und sympathischste Figur des Filmes zum Dreckschwein macht und diesem die gerechte Strafe zukommen lässt. Sogleich flüchtet sich sein Film erneut in ein Schwarzbild, wirft den Zuschauer zurück auf seinen Gehörsinn und lässt irgendwann den Abspann folgen. Im Publikum beobachtet man Kopfschütteln, Gähnen und ungläubiges Lachen. Der Mensch, so die Lehre des Filmes, kann nun einmal nicht aus seiner Haut heraus. Für Lars von Trier gilt dies leider unisono. Und so wird aus dem erhofften und im ersten Teil tatsächlich gelieferten Meisterwerk im Nachgang ein zwar unterhaltsamer, optisch wie inhaltlich interessant aufgezogener und toll gespielter Streifen, der sich allerdings selbst zu sehr im Weg steht, um vollends zu überzeugen. Eine Sichtung, soviel sei allerdings zugestanden, ist "Nymphomaniac" in jedem Fall wert!

Nymphomaniac Teil 2 – Vergiss die Liebe

Nymphomaniac

Originaltitel: Nymphomaniac Teil 2
Herstellungsland: Belgien, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien
Erscheinungsjahr: 2013
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgård, Stacy Martin, Shia LaBeouf, Christian Slater, Jamie Bell, Uma Thurman, Willem Dafoe, Mia Goth, Sophie Kennedy Clark, Connie Nielsen u.a.
Verleih: Concorde Filmverleih
FSK Freigabe: ab 16

Alle Informationen zu "Nymphomaniac Teil 1" findet ihr auf Seite zwei unseres Artikels zu Lars von Triers "Skandalfilm".