Menschen mit Behinderung müssen sich ein positives Körperbild und einen guten Umgang mit der eigenen Sexualität oftmals erkämpfen. Den eigenen Wert mit der sexuellen Anziehung auf andere zu verknüpfen, ist allerdings keine gute Idee. Ich weiß das aus eigener Erfahrung.
Tipp: Chris Lily Kiermeier ist gemeinsam mit Patrick Hess am 29. Januar 2024 um 20 Uhr im Rahmen des Themenmonats "Selbstbestimmte Sexualität" in der Sex Education zu Gast: Melde dich zu ihrem Livestream Vielfalt – von Selbstbestimmung bis Queerness an und erfahre mehr.
Nur ein Punkt auf der Checkliste
Ich erinnere mich gut an die weißen Wände des Hotelzimmers, an die verschwitzten Bettlaken und unser Stöhnen. Seines laut und offensichtlich echt – meines, beliebig von mir eingestreut und absolut unecht. Doch er nimmt das nicht wahr oder möchte es nicht wahrnehmen. Er wird lauter, sein Rhythmus schneller, sein Herzschlag beschleunigt sich, während er auf mir liegt. Er sagt mir irgendwas, doch ich höre ihn kaum. Ich bin geistig und emotional abwesend, irgendwo, nur nicht dort, wo ich gerade sein sollte, und das ist gut so.
Irgendwann spüre ich sein Sperma zwischen meinen Beinen, warm und klebrig. Er ist fertig und ich bin froh darüber. Er nimmt mich, drückt mich an sich, sagt mir, dass es gut war und fragt, ob es gut für mich war. Ich nicke nur und bitte ihn, mich zur Seite zu drehen, bevor er duschen geht. Er tut es sogar sehr gerne, denn für ihn ist es ein Zeichen meiner Befriedigung und Erschöpfung, dass ich jetzt Ruhe brauche.
Während ich ihm zuhöre, wie er sich fröhlich trällernd duscht, fühle ich mich dreckig. Nicht wegen des Spermas und der verschwitzten Laken, sondern wegen der gesamten Situation.
Gleichzeitig habe ich einmal mehr alles verraten, was man mir beigebracht hatte, denn ich hatte Sexualität anders gelernt. Warum bin ich dort, mit ihm, für den ich ebenfalls nur ein Punkt auf einer Checkliste darstelle, und so weit weg von mir selbst? Die Antwort auf diese Frage ist nicht gerade einfach.
Neben ihrem Blog arbeitet sie ehrenamtlich für die Trans*Inter*Beratungsstelle der Münchner Aidshilfe. Als trans Frau mit einer Behinderung legt sie großen Wert darauf, dass Intersektionalitäten stärker beachtet werden.
Was ist guter Sex?
Als Teenager war meine Situation schwierig. Ich durchlief eine Pubertät, die nicht meine war und deren Folgen ich trotzdem ertragen musste. Zusätzlich hatte ich aufgrund meiner Behinderung und meiner sexuellen Orientierung, die ich so wie mein eigentliches Geschlecht versteckte, massive Selbstzweifel entwickelt. Kurz gesagt: Ich fand mich furchtbar hässlich und wertlos.
Über meine ersten Erfahrungen durch das Online-Dating, die zugegebenermaßen nicht wirklich gut waren, lernte ich allerdings ein neues Gefühl von Selbstwert.
Was zunächst positiv klingt, ist eigentlich ein extrem toxisches Verhalten. Ich kannte zu diesem Zeitpunkt keine gute Form von Intimität. Ich hatte Sex, nicht weil ich es so toll fand, sondern um mich selbst überhaupt ertragen zu können. Die Frage "Was ist guter Sex?", oder besser "Was ist eine gute Intimität?" hätte ich damals nicht beantworten können.
Schmerz, der befreit
Es gab eine Zeit nach meinem ersten Mal, in der ich von Bett zu Bett sprang, bis mir endlich gezeigt wurde, wie eine gute und gesunde Intimität funktioniert. Eines Tages schrieb mir ein Mann, der deutlich älter als ich war, dass er Interesse an mir hätte – allerdings nur als Sub.
So kam ich zum ersten Mal in Kontakt mit BDSM und zu meinem ersten Dom. Wir spielten zunächst soft, ruhig und wirklich langsam. Wir lernten voneinander. Er über Menschen mit Behinderung, denn über den Kontakt zu mir verlor er seine Berührungsängste und Vorurteile. Ich über BDSM, Kommunikation, Vertrauen, Hingabe und Fürsorge, aber noch viel mehr über mich selbst.
Zwei Jahre lang hatte ich die Gelegenheit, meine Neigungen, Vorlieben, meine körperlichen und sexuellen Grenzen zu reflektieren und zu erkunden. Er führte mich achtsam und war immer bereit, auch emotionale Folgen aufzufangen. Wir suchten Wege, wie ich kreativ mit all diesen Themen umgehen kann, und ich lernte, wie wertvoll Grenzen sind. Er zeigte mir eine gesunde Intimität und wie sich achtsame gemeinsame Interaktionen anfühlen.
Ich lernte aber auch zu scheitern. Scheitern? Ja, weil ich auf dem Weg meiner Persönlichkeitsentwicklung übte, mit Ablehnung oder Situationen, in denen ich an meine Grenzen stoße, auszukommen. Für viele mag das selbstverständlich klingen, für mich ist es das nicht. Wenn mich meine eigenen Grenzen oder die anderer Menschen stark frustrieren, fällt mir der besonnene Umgang damit schwer.
Doch ich hatte einen guten Dom, einen hervorragenden Lehrer, und in unserer gemeinsamen Zeit überwand ich meinen Selbsthass zumindest vorläufig. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, besser sein zu müssen als andere Menschen mit Behinderung, und ich brauchte die Bestätigung meiner Fuckability in dieser Zeit nicht.
Das Durchbrechen solcher Denkmuster ist eine komplizierte Sache. Wer wie ich eine gewisse negative Wahrnehmung und die daraus resultierenden Emotionen einmal verinnerlicht hat, hat es schwer, sie dauerhaft positiv neu zu besetzen.
Ich schaffte das nach dem Ende dieser Spielbeziehung nicht. Folglich fiel ich zurück in alte Muster, wenn auch nicht mehr so dauerhaft: Ich sammelte Menschen ohne Behinderung, mit denen ich Sex hatte, um so meinen Wert unter Beweis zu stellen. Der Schmerz und die Unterwerfung, die mich befreit hatten, waren verschwunden und so endete ich in dem eingangs erwähnten Hotelzimmer.
Der lange Weg zu mir selbst
Aus heutiger Sicht verstehe ich, warum ich nach meiner ersten Spielbeziehung in dieses Verhalten zurückgefallen bin. Der Hauptbestandteil meiner Probleme war mein internalisierter Ableismus. Das Phänomen tritt immer dann auf, wenn Menschen mit Behinderung die Diskriminierungen und Vorurteile, die sie in unserer Gesellschaft erleben, verinnerlichen oder ihnen bewusst zustimmen oder sie sogar reproduzieren.
Ich hatte meine Diskriminierungserfahrungen so verinnerlicht, dass ich mich selbst nicht akzeptieren konnte. Was eigentlich absurd war, denn ich hatte den richtigen Weg bereits zwei Jahre lang aufgezeigt bekommen. Nur gehen konnte ich ihn einfach nicht.
Vor einigen Wochen zeigte ich einer Bezugsperson ein paar Fotos aus dieser Zeit, wir kannten uns damals noch nicht. They sagte mir: "Ich hätte dich nicht erkannt. Deine Augen sind so leer, keine Spur von deinem Feuer."
Es gibt wahrscheinlich keine bessere Beschreibung für mein damaliges Ich. Letztlich habe ich diesen inneren Kampf gewonnen, weil ich mich selbst immer weniger ertragen konnte.
Ich habe den Mann aus dem erwähnten Hotelzimmer nie wieder gesehen, ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern, aber an das schlechte Gefühl hinterher erinnere ich mich gut. An diesem Abend hatte ich den Entschluss gefasst, dass mir das nie wieder passieren wird, und es passierte tatsächlich nie wieder, obwohl es manchmal kurz davor war.
In den folgenden Jahren hatte ich erneut das Glück, Menschen zu treffen, die meinen Prozess von emotionaler Heilung unterstützten, auch wenn sie den Grund dafür gar nicht wirklich kannten. Ich setzte mich extrem mit meinem Körper auseinander und konnte über Körperarbeit, BDSM, ein kleines bisschen Tantra und Fotoshootings viele Probleme lösen, die ich aufgrund meiner Behinderung hatte.
Dadurch und durch meine Transition kann ich heute sagen, dass dieser Körper endlich wirklich mein Körper ist. Ich bin stolz auf ihn und ich freue mich über jede kleine Weiterentwicklung. Wenn ich heute jemanden kennenlerne, in eine Session gehe oder ganz gewöhnlichen Sex habe, tue ich das, weil ich es möchte, nicht für irgendeine Bestätigung.
Meinem jüngeren Ich würde ich ein einfaches Statement mitgeben: "Lass die Typen liegen. Du brauchst sie nicht, sie verdienen dich nicht. Du bist mehr wert als das."
Wenn dieser Kampf für irgendetwas gut war, dann dafür: Fick die Fuckability!
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