Nylons können unterschiedliche Assoziationen hervorrufen. Für viele Menschen beschreiben sie schlicht Strümpfe und damit Beinbekleidungsstücke, die vorzugsweise von Frauen unter Röcken getragen werden. Das Problem der schnellen Laufmaschen kennt dabei sicherlich jede Frau. Auf andere übt der Nylonstrumpf zudem eine erotische Anziehungskraft aus, der mitunter auch als Fetisch ausgelebt wird.
Der folgende Artikel aus dem PO-Magazin gewährt Einblicke in die Gedankenwelt eines Nylon-Liebhabers, der sich auf eine Frau wartend seinem mentalen Anziehspiel und den erotischen Reizen von Nylonstrümpfen hingibt.
Erotische Vorfreude auf sie
Seit ein paar Minuten bin ich bereit. Unruhig, beinahe nervös rutsche ich auf dem schmalen Cocktailsessel hin und her; nein: Erwartungsvoll und gespannt sitze ich in dem dunkelblauen Sessel. Auf dem runden Tisch vor mir liegt neben einem kleinen Glasaschenbecher wieder einmal mein dickes, 50 Jahre altes »Photographer’s World of Strange, Exotic, Beautiful Women«, das mich seit vielen Jahren begleitet und so oft inspiriert hat. Im Fernseher gegenüber dem Bett läuft MTV. Mit der Fernbedienung habe ich den Ton abgestellt, die zappelnden Möchtegernstars interessieren mich nicht.
Ich warte aufgeregt auf Wichtigeres. Auf Interessanteres. Auf sie! Jeden Augenblick wird sich die Badezimmertür öffnen, und sie wird vor mir stehen. Geschminkt. Frisiert. Fast nackt. Doch bevor es schließlich losgehen kann, werde ich ihr noch helfen dürfen. Das goldbraune Knäuel aus nahezu masselosem Gespinst, das ich zusammen mit dem unförmigen Gewirr aus schwarzen Bändern und Metallclips auf die unschuldig-weiße Bettdecke gelegt hatte, verlangt nach geschlossener Form. Das amorphe Etwas will spannungsgeladen gefüllt werden, der sanfte Glanz der monofil gesponnenen Kunstfaser will sich ausbreiten können. Mir schießen zahllose Bilder durch den Kopf, die ich nachher unbedingt festhalten müsste; und bereits jetzt weiß ich, dass ich mich – wie so oft – hoffnungslos im Detail verlieren werde.
Lächelnd wird meine junge Diva hereinkommen. Breitbeinig wird sie vor mir stehen, die Hände auf die ausladend runden Hüften gestützt: "Können wir endlich loslegen?", wird sie vielleicht keck fordern, und ich werde mir den protestierenden Einwand sicherlich verkneifen, dass ich seit einiger Zeit auf sie wartete. Wie alle Frauen vor ihr wird auch sie wissen, worauf es ankommt. Sie wird wissen, wie man mit dieser speziellen Situation umgeht. Sie wird wissen, was fast alle Männer mögen.
In Gedanken gleiten die Nylons über ihren Schenkel
Ich werde den breiten Strumpfgürtel vom Bett nehmen und ihn um ihren weißen Körper legen. Behutsam hake ich dann den Verschluss ein und öffne die silberglänzenden Clips, die an den Enden der sechs Strumpfbänder baumeln. Während ich den ersten Strumpf geschickt aufrolle, knie ich mich hinter sie. Dünne Baumwollhandschuhe an meinen Fingern verhindern Fadenzieher oder gar Laufmaschen gleich zu Beginn.
Wir werden uns wortlos verstehen. Mit gestrecktem Spann wird sie ihren rechten Fuß ein wenig vom Boden heben; gerade soviel, dass ich die Spitze des dünnen Nylonstrumpfes über ihre blutrot lackierten Zehen streifen kann. Ich zupfe das verstärkte Fußteil mit dem gerollten Rest des glatten Gewebes über ihre weiche Sohle und justiere die Naht an der Achillessehne, an der die kubische Ferse ansetzt. Langsam und schnurgerade ziehe ich den Strumpf über ihre gewölbte Wade, das runde Knie und ihre festen Schenkel vorsichtig in die Höhe. Die drei Strumpfhalter werde ich – einen nach dem anderen – strammziehen und am breiten Doppelrand befestigen. Bald werde ich sie in eine Nylongöttin verwandelt haben…
Ungeduld macht sich breit
Wo bleibt sie nur? Warum braucht sie so lange? Ihre Beine sind doch makellos. Sie hatte sie perfekt rasiert. Und ihre zarten Füße: wie immer extrem gepflegt – daran wird es also kaum liegen… Oder wächst meine Ungeduld proportional zur Vorfreude? Ich bin zu angespannt… muss locker werden… Ich will auf mein mentales Anziehspiel zurückkommen, um auch ihr linkes Bein in der virtuellen Generalprobe zu bestrumpfen…
Soll ich die Lampen schon einschalten? Denn ich muss alles sehen. Jede noch so kleine Einzelheit und feine Strumpffältchen will ich mit allen Sinnen erfassen und genießen! Und wenn sie dann endlich vor mir steht, kniet, liegt, krabbelt oder strampelt, kontrahieren die Strümpfe sich und die an ihnen befestigten Bänder und erlangen im Wechselspiel beinahe eine eigene Körperlichkeit.
Wie in einer gotischen Kathedrale streben die weit ausholenden Bögen der straff gespannten Strumpfränder steil in die Höhe und strukturieren den Raum: Die ruhende Masse des wohlgeformten Beinpaares wird durch die aufsteigenden Bewegungen der duftigen Dessousteile und spinnwebfeinen Strumpfelemente in eigentümliche Spannung versetzt. Die hinabstoßende Kraft der Metallclipse durchdringt in starken Wellen die Moiré bildenden Doppelränder, die mit ihrem selbstbewussten Gegenschwung scheinbar in der Schwebe gehalten werden. Die sich hier und da aus dem feinen Nylongarn formenden Fältchen bilden im Gegeneinander große und kleine Flächen, welche die sanft glänzende Fassade der Beine im Wechsel breiter und schmaler Horizontalschichten in die Höhe zu treiben scheinen.
Albtraum Strumpfhosen
Plötzlich habe ich diesen oft wiederkehrenden schrecklichen Albtraum: Was wäre, wenn alle Frauen ausnahmslos Strumpfhosen trügen, die beinahe bis ins Unendliche dehnbar sind? Diese wurstpellenähnlichen Beinschläuche entsprächen einem langweiligen und funktionellen Zweckbau aus grauem Beton, der formlos, ohne Spannung und ohne die Phantasie anzuregen nur einen praktischen Gebrauchswert hätte. Ohne Erotik. Ohne Träume. Ohne Verlangen. Ohne Mystik. Der eintönige Brei der allgemeinen Spannungslosigkeit lastete schwer auf dem noch so begehrenswerten weiblichen Körper und führte zu tödlicher Monotonie.
Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken herunter, da ich in der Sekunde daran denke, dass irgendwann jemand bemerkte, der Erfinder der Strumpfhose sei der Hitler der Erotik: Dann lieber gleich ganz nackte Beine? Diese indiskutable Alternative als letzter Schritt wäre für mich nicht nur ein Totalverlust der abendländischen Erotikkultur, sondern ein Rückfall in barbarische Urzeiten: allein der animalische Instinkt bliebe übrig.
Erotische Reize für den Mann
Ich schweife wieder ab; doch während ich weiter auf meinen Strumpfengel warte, fällt mir ein, dass die dezente Verhüllung einzelner Körperteile zu allen Zeiten den erotischen Stimulus ausgelöst und die sinnliche Begehrlichkeit gesteigert hat – manchmal ins Unermessliche. Es muss nicht die permanent bemühte frühkindlich-traumatische Entwicklungsstörung eine Fixierung auf bestimmte Schlüsselreize oder gar Fetischisierung hervorrufen. Dem vorschnell als Chauvinist etikettierten Mann genügt seine gesunde Neugier und wenn dann zusätzlich noch sein erotischer Spieltrieb geweckt wird, sind glatte Strümpfe mit oder ohne Naht und die breiten Strapse oder schmalen Tanzgürtel die geeigneten Objekte für gemeinsame lustvolle Stunden.
"Alles nur geile Schweine", protestieren unaufhörlich die hysterischen Bedenkenträger. Die gleichen "unvernünftigen" Prinzipien gelten uneingeschränkt für die nicht minder experimentierfreudige Frau, die allerdings subtilere und alle Sinne ansprechende Reize benötigt: Wer sich in den feinen Maschen der erregenden Nylonhüllen fängt, sündigt auf einer Metaebene der Verführung. Und trägt die Frau Strümpfe, ist der Mann von den Socken!
Höchstens noch einen kleinen Moment, dann werden meine hungrigen Augen jedem Faltenwurf der glatten Strümpfe nachspüren und die in ein Hauch von Nichts gekleidete Venus verschlingen. Meine warmen Hände werden sie berühren und über ihre unendlich langen Beine hoch bis zum Ursprung der Welt streicheln können. Ich werde das sirrende Geräusch ihrer nylonbestrumpften Beine hören, die langsam aneinanderreiben. Der leichte Duft der Nylonfasern wird sich mit der Spur ihres fruchtigen Parfums zu einer explosiven Mischung vereinigen. Meine Zunge will ihre frische Süße schmecken. Ich werde sie gewiss mit allen meinen Sinnen auskosten.
Mein Blick fällt auf meine Kamera, die neben dem Aschenbecher liegt: dass ich eigentlich nur eine Fotoserie schießen muss, darf ich nicht vergessen…
© Uwe Fülleborn
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