Affären-Managerin? Klingt wie ein Organisationstalent, das einem den Kalender strafft, damit man geräuscharm Affäre und Beziehung unter einen Hut bekommt. Weit gefehlt. Dahinter verbirgt sich eine Therapeutin, die Menschen hilft – allein, zu zweit oder zu dritt –, gestärkt aus einer Affäre hervorzugehen. Ein Gespräch mit Affären-Managerin Melanie Mittermaier über Geschlechterunterschiede, Beziehungstrends und Chancen einer aufgeflogenen Affäre.
Interview: Alex Todorov
Auslöser für ihre Entscheidung, als Affären-Managerin zu arbeiten: Sie hatte sich in ihrer Ehe fremdverliebt und daraufhin begonnen, sich tiefgehend mit den Themen Treue, Monogamie, Untreue und Affären auseinanderzusetzen und in ihrem Blog "Liebe Leben" darüber zu schreiben. Heute lotst sie in ihrer Paarberatung Menschen durch stürmische Beziehungsgewässer, hält Vorträge und gibt Workshops.
Ich habe kürzlich von einem kuriosen Rat gelesen, den eine Frauenärztin ihren Patientinnen gibt: Sie rät zu dreimal Sex die Woche. Die Frauen sollten einfach anfangen, die Lust würde dann schon kommen. Das bestärke die körperliche Nähe, halte die eigene Sexualität wach und beuge Affären vor. Was ist ihr kuriosester Tipp gegen das Fremdgehen? Und jetzt sagen Sie bitte nicht: Miteinander reden!
Es gibt einen Satz einer amerikanischen Scheidungsanwältin, der lautet: "Wenn Sie nicht mit ihrem Mann schlafen, tut es eine andere!" Den halte ich für höchst wahr. Doch dreimal Sex pro Woche beugt Fremdgehen keineswegs vor, schon gar nicht, wenn die Ehefrau eigentlich keine Lust darauf hat. Das merkt ja der blindeste Mann mit Krückstock.
Auch wenn Sie diese Antwort nicht hören wollen: Wenn das Sexleben nicht läuft, ist das Mittel der Wahl: miteinander zu reden! Ein Berliner Sexualtherapeut hat es so ausgedrückt: "Das Problem bei den meisten Paaren ist, wenn sie aufhören, miteinander übereinander zu reden."
Ich war selbst in der Situation, dass mein Mann zu mir meinte: Wenn ich nicht so oft mit ihm Sex habe, wie er will, würde er sich eine andere Frau suchen. Daher weiß ich, dass dreimal Sex pro Woche zwar meinem Mann sehr gut gefallen hätte, aber wir heute vermutlich nicht mehr verheiratet wären. Für uns war extrem wichtig, über uns und unsere Sexualität zu reden und die Erkenntnisse ganz praktisch in die Tat umzusetzen. Ja, nur reden löst das Problem nicht. Aber auch nicht nur vögeln. Es braucht meiner Meinung nach beides.
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Gehen wir einen Schritt zurück: Was ist denn überhaupt eine Affäre?
Eine Affäre definiert sich über drei Merkmale. Erstens: Sie ist heimlich. Der Partner wird bewusst herausgehalten. Zweitens: Es besteht eine emotionale Beziehung zwischen den Affären-Partnern. Mit einer Prostituierten kann ein Mann seine Frau auch betrügen, aber niemand würde hier von einer Affäre sprechen. Selbst wenn er dieselbe Prostituierte mehrfach besuchen würde. Drittens: Es gibt eine sexuelle Anziehung, die nicht unbedingt ausgelebt werden muss. Ein heißer WhatsApp-Chat kann ebenfalls ein Anzeichen für eine Affäre sein, auch wenn sich die beiden nicht treffen.
- Hattest du schon einmal eine Affäre?
JOYclub-Frauen haben öfter eine Affäre gehabt als JOYclub-Männer: 83,2 % zu 77,8 %.
Umfrage unter 5.000 Frauen und 5.000 Männer aus dem JOYclub im März 2019. Für mehr Umfrage-Ergebnisse weiterlesen.
Warum braucht es eine Affären-Managerin?
Weil die Menschen nicht gelernt haben, wie man mit einer Affäre umgehen kann. Die meisten Paare hoffen, dass das Thema Fremdgehen in ihrer Beziehung nie aktuell wird.
Egal, ob es die Partner sind, die fremdgehen, oder diejenigen, die betrogen wurden, ich höre immer denselben Satz: "Ich dachte nicht, dass mir sowas mal passieren würde!" Und wenn jetzt das Kind in den Brunnen gefallen ist, braucht es jemanden wie mich, die weiß, wie man eine Beziehung retten kann oder wie es gelingt, mit so einer Erfahrung umzugehen, ohne für den Rest seines Lebens darunter zu leiden.
Eine Frage vor dem Hintergrund unseres Affären-Erfahrungsberichts: Jeder Mensch scheint zu wissen, dass eine Affäre in einer Beziehung grundlegend falsch ist. Warum stürzen sich dennoch so viele in Affären?
Zum einen, weil wir alle emotionale Wesen sind und Entscheidungen nicht aus logischen, sondern aus meistens höchst emotional Gründen treffen. Und es gibt kaum eine Situation, die emotionaler ist, als eine Affäre. Zum anderen, weil unser Gehirn immer noch so funktioniert wie in der Steinzeit: Es will Lust gewinnen, Schmerz vermeiden und Energie sparen.
Um es meinen Kunden klarer zu verdeutlichen, sage ich immer: Das Gehirn ist faul, feige und eitel. Eine Affäre ist – zumindest kurzfristig – höchster Lustgewinn. Schmerz wird vermieden, indem sich die Menschen nicht mit dem Partner auseinandersetzen, sondern für sich Pseudo-Lösungen finden. Zudem kostet es weniger Energie, eine Affäre anzufangen, als eine Beziehung zu entwickeln.
- Ist eine Affäre deines Partners / deiner Partnerin für dich gleichbedeutend mit dem Beziehungsaus?
Nein meinen unter den Befragten mit Affäre-Erfahrung 50,4 % der Männer und 41 % der Frauen.
Welche Bedürfnisse müssen aufeinanderprallen, dass eine Affäre überhaupt entsteht?
Fast immer geht es um Lebendigkeit, Wertschätzung und Leichtigkeit. Viele Paare leben eine selbstverständliche Beziehung, in der sie aufgehört haben, umeinander zu werben. Manche Beziehungen sind langweilig geworden, der Sex ist eingeschlafen oder die Partner haben sich nicht viel zu geben. Dann hat eine Affäre leichtes Spiel.
Manchmal hat es aber gar nichts mit der Beziehung zu tun, sondern mit einer persönlichen oder einer beruflichen Krise. Immer wieder erlebe ich, dass eine Affäre nach einem Schicksalsschlag passiert, nach einer Fehlgeburt oder einem Todesfall in der Familie. Eine Liebelei wirkt wie ein Gegenmittel gegen Krankheit und Tod.
Wo entstehen denn die meisten Affären?
Die meisten Affären entstehen tatsächlich am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis. Manchmal auch durch ein Online-Portal, aber in meiner Praxis eher selten.
Was sind die häufigsten Umstände und Konstellationen, die Menschen dazu veranlassen, sich an Sie zu wenden?
Der häufigste Umstand: Eine Affäre oder ein Seitensprung ist aufgeflogen. Liegt eine Beziehung in Scherben, brauchen die Menschen dringend Hilfe. Sie googeln und landen dann bei mir, wenn ihnen mein Ansatz gefällt. Viele Kunden wenden sich auch an mich, weil sie in einer Affäre stecken, die noch nicht aufgeflogen ist, und fragen mich, wie sie sich entscheiden und ob sie es beichten sollen. Schuldgefühle und Zerrissenheit sind hier die größten Probleme.
Nehmen wir an, eine Frau und Mutter, die ihren langjährigen Partner mit einer Affäre betrügt, kommt zu Ihnen, weil sie keinen Weg aus der Sackgasse findet. Was raten Sie ihr? Das sind ja oftmals Gemengelagen, in denen unheimlich viel auf dem Spiel steht.
Ich gehe sehr achtsam mit derlei Situationen um, weil nicht ich mit den Konsequenzen leben muss, meine Kunden jedoch schon. Ich zeige den Menschen meistens verschiedene Wege und Möglichkeiten auf und wir erarbeiten, welche Konsequenzen zu erwarten sind. Die Entscheidung, wie sie dann damit umgehen, treffen meine Kunden selbst.
Mir ist wichtig, hinter die Affäre zu blicken und zu schauen, worum es eigentlich wirklich geht. In Ihrem Beispiel würde ich hinterfragen, warum die Frau eine Affäre hat, wie sie entstanden ist und was ihre Ziele im Leben allgemein sind. Mir geht es nicht darum, jede Beziehung auf Teufel komm raus zu retten, sondern die Person dabei zu unterstützen, ihre Ziele zu erreichen. Und das kann auch eine Trennung vom Partner bedeuten.
Oft erlebe ich aber, dass eine Affäre ein Ablenkungsmanöver von den eigentlichen Baustellen ist. Der Vergleich mit einem Eisberg trifft es gut. Die Affäre ist nur die Spitze, die aus der Wasseroberfläche herausschaut. Darunter gibt es noch vieles mehr, was beachtet werden muss.
Das Klischee besagt: Es sind in der Mehrzahl Männer, die fremdgehen. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Nein. Mittlerweile gehen genauso viele Frauen fremd wie Männer. Das hat damit zu tun, dass in der heutigen Zeit Frauen genauso am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, arbeiten gehen und eigenes Geld verdienen. Früher war es wirklich so, dass es hauptsächlich die Männer waren, schlicht weil sie mehr Gelegenheit dazu hatten.
- 16,4 % der Männer und 25,3 % der Frauen, die schon einmal eine Affäre hatten, stecken aktuell in einer Affäre.
- 41,4 % der Frauen und 32,5 % der Männer sind laut eigener Angabe schon einmal betrogen worden.
Gehen Frauen und Männer aus unterschiedlichen Motiven eine Affäre ein?
Oberflächlich gesehen ja. Frauen fühlen sich emotional vernachlässigt, Männern fehlt ein aufregendes Sexleben, so ist das Klischee. Doch wenn ich tiefer grabe, geht es um die gleichen Dinge: Selbstwertgefühl, Lebendigkeit und Selbstverwirklichung.
Gibt es Menschen, die stärkere Tendenzen zum Fremdgehen haben als andere?
Ja, die gibt es. Menschen haben unterschiedliche Werte. Wenn jemandem zum Beispiel Freiheit wichtiger ist als Sicherheit, kann sich das in einem höheren Drang nach fremder Haut ausdrücken. Es gibt Menschen, die sind neugieriger und lebenshungriger als andere. Auch gibt es Menschen die generell ein höheres Interesse an anderen Personen haben. Das wären die positiven Motivationen. Es gibt auch Menschen, die sich minderwertig fühlen und mit Affären ihr Ego polieren, oder welche, die zu feige sind, sich mit dem Partner auseinanderzusetzen und lieber heimlich durch die Hintertür gehen.
Worin können für alle Beteiligten die Chancen einer aufgeflogenen Affäre liegen?
Für mich ist eine aufgeflogene Affäre wie kaltes Wasser ins Gesicht, wenn jemand schläft. Sie weckt die Paare auf, die manchmal jahrzehntelang in einer Art Dornröschenschlaf waren. Die Paare, die einen Umgang damit suchen, reden mehr, haben wieder öfter und besseren Sex. Sie gestehen sich ein, dass sie sich vernachlässigt haben und machen es in Zukunft bestenfalls besser. Alles, was uns im Beziehungsleben passiert, hat einen Sinn und einen Grund. Auch wenn es wehtut. Finden die Menschen ihren persönlichen Sinn, etwa dass sie sich selbst besser kennenlernen und den Partner auch, dann können sie es für sich nutzen, anstatt daran zu zerbrechen.
- Hat sich eine Affäre schon einmal positiv auf deine Partnerbeziehung ausgewirkt?
Unter den Menschen, die schon einmal eine Affäre hatten, bejahten 28 % der Frauen und 32,5 % der Männer.
Sind die Entstehungsumstände von Affären eigentlich ein guter Nährboden für Beziehungen? Können Sie abschätzen, wie viel Prozent der Affären irgendwann zu einer festen Paarbeziehung werden?
Nein, das kann ich nicht abschätzen. Aus dem Gefühl und aus meiner Erfahrung heraus würde ich sagen, dass das höchst selten der Fall ist. Ja, manchmal finden sich zwei zusammen, die dann ein tolles Paar abgeben und mit den Herausforderungen umgehen können, die es bedeutet, aus einer Affäre eine Beziehung zu machen. In den meisten Fällen aber eher nicht. Hier geht es um einen erwachsenen Umgang mit Emotionen und der ist bei den meisten Affären nicht gegeben.
- Bei 5 % der befragten Männer und Frauen mit Affäre-Erfahrung wurde aus einer Affäre eine Beziehung, 2,1 % gaben an, ihre Beziehung nach Ende der Affäre geöffnet zu haben.
Wann hilft auch keine Affären-Managerin mehr?
Das klingt jetzt vielleicht etwas großspurig, aber grundsätzlich kann ich immer helfen, auch wenn es für die Beziehung zu spät ist. Denn das Verarbeiten einer Affäre ist wichtig. Auch dann, wenn der Partner sich für die Geliebte entschieden hat, der betrogene Partner nicht bereit ist, zu verzeihen oder sich weigert, über die Ereignisse zu sprechen. Es geht darum, sich selbst, den Partner, das Gehirn und das Leben besser zu verstehen und bewusster zu gestalten. Egal ob allein oder mit dem Partner zusammen.
Können Sie Trends ausmachen, wohin sich aktuell Paarbeziehungen bzw. Affären bewegen?
Momentan ist die meist gelebte Form der Partnerschaft die serielle Monogamie. Paare sind immer so lange treu, wie das funktioniert und trennen sich, sobald einer fremdgeht oder sich anderweitig verliebt, um dann eine neue monogame Beziehung zu leben.
Eine lebenslange Treue mit nur einem Partner gibt es heutzutage fast nicht mehr. Zudem nehme ich wahr, dass sich immer mehr Menschen trauen, alternative Beziehungskonzepte auszuprobieren und auch öffentlich darüber zu berichten. Wir bekommen mehr Vielfalt, auch wenn das noch ein weiter Weg bis zur gesellschaftlichen Akzeptanz ist. Meine Eltern mussten noch heiraten, als meine Mama schwanger wurde, weil Sex vor der Ehe in den 60ern höchst verpönt war. Das ist heute ganz normal.
Ich hoffe, dass wir es etwas schneller schaffen, dass Menschen ihre Beziehung nach ihren eigenen Regeln leben können. Und nicht nach der gesellschaftlichen Moral.
Unter den Menschen, die schon einmal eine Affäre hatten, nannten:
mehr als 1,5 Jahre
38,3 % der Frauen
25,5 % der Männer
1-3 Monate
12,7 % der Frauen
19,6 % der Männer
4-6 Monate
16,2 % der Frauen
20,3 % der Männer
7-12 Monate
15,6 % der Frauen
14,3 % der Männer
Was war der Grund, dich auf eine Affäre einzulassen?
Unter den Menschen, die schon einmal eine Affäre hatten, nannten:
Lust auf Abenteuer
52 % der Frauen
64,6 % der Männer
fehlenden Sex
49,9 % der Frauen
51,5 % der Männer
fehlende Nähe und Wärme
39,6 % der Frauen
21,6 % der Männer
Ausleben bestimmter Neigungen bzw. Orientierungen
35,3 % der Frauen
35,5 % der Männer
In welcher Konstellation hast du bereits eine Affäre geführt?
Unter den Menschen, die schon einmal eine Affäre hatten, nannten
Meine Affäre war in einer Beziehung, ich Single
47,7 % der Frauen
37,1 % der Männer
Ich war in einer Beziehung, meine Affäre Single
30,3 % der Frauen
39,9 % der Männer
Wir waren beide in einer Beziehung
40,2 % der Frauen
45 % der Männer
Umfrage unter 5.000 Frauen und 5.000 Männer aus dem JOYclub im März 2019. Für mehr Umfrage-Ergebnisse weiterlesen.
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Lesetipps zum Thema von Melanie Mittermaier:
- Die Macht der Affäre (The State of Affairs). Von Esther Perel
- Wild Life (Mating in Captivity). Von Esther Perel
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