Glänzende Latex-Outfits sind längst in der Mode- und Popkultur angekommen. Doch für einige Menschen bedeutet Latex mehr als nur ein stylishes Kleidungsstück. Aus Angst vor Ablehnung trauen sie sich aber immer noch nicht, öffentlich zu ihrem Fetisch zu stehen. Ich möchte wissen, wie die Leute reagieren, wenn ihnen ein Mensch in voller Latexmontur im Alltag begegnet – und starte ein Experiment.
Ein Gastbeitrag von Antje Nikola Mönning
Kann ich problemlos in Latex auf die Straße gehen?
An einem kühlen Märztag schlüpfe ich in einen schwarzen Latex-Catsuit und schwarze Lackstiefel und mache mich auf den Weg in die Landsberger Innenstadt. Landsberg am Lech ist mit seinen knapp 30.000 Einwohner zwar nicht München oder Augsburg, doch groß genug, um auf viele Menschen zu treffen. Der Anzug steht mir echt gut, finde ich und genieße die eng anliegende zweite Haut.
In ihrem 2023 erschienenen Buch nimmt Antje ihre Leser:innen mit auf eine Entdeckungsreise in die Welt der Sexualität. Dabei erzählt sie ihre eigene Geschichte und die anderer Menschen, die ihre Sexualität außerhalb von "normal" leben. Direkt zum Buch.
"Heute kannst du zumindest in straßentauglicher Latex- oder Gummikleidung auf die Straße gehen", hatte Joachim mir gesagt. Joachim ist ein 82-jähriger Latexfetischist, den ich für mein Buch "'Nicht normal' ist ganz normal" interviewt habe. "Das habe ich mit meiner Frau auch gemacht. Aber ich bin zum Beispiel weder mit einer Gummimaske noch mit einem enganliegenden Gummianzug auf die Straße gegangen."
Denn Latex ist nicht gleich Latex. Es gibt durchaus Latex-Kleidungsstücke, die der gängigen Mode nachempfunden sind und nur durch ihre glänzende Optik auffallen. Und es gibt die expliziteren Outfits – im Alltag ein ungewöhnlicher Anblick.
Klar, dass ich genau das ausprobieren will. Um mein Outfit zu komplettieren, setze ich mir noch eine Latexmaske auf, die mein ganzes Gesicht bis auf die Augen und den Mund verdeckt. Nur zwei blonde geflochtene Zöpfe ragen aus der Maske heraus.
Kopfkino: KitKat-Club oder Überfall?
Da ich für mein Buch auch Fotos von Latex im Alltag machen möchte, bitte ich eine Freundin, mich mit der Kamera zu begleiten. Als wir an einem ziemlich belebten Einkaufszentrum aus dem Auto steigen und anfangen, auf dem davor liegenden Parkplatz Fotos von mir mit einem Einkaufswagen und vollen Taschen zu machen, bemerke ich, wie die ersten Menschen anfangen zu lachen und ihre Kameras zu zücken.
"Ist das für einen Film?", fragt ein älterer Mann, den ich auf Mitte 70 schätze. "So ähnlich. Das ist ein Fotoshooting", antworte ich. "Und so etwas macht ihr in Landsberg und nicht in München?", fragt der Mann überrascht. Ich weiß nicht, was für Bilder in seinem Kopf abspulen, aber ich vermute stark, dass er bei "Film" an Pornografie gedacht hat.
"KitKat-Club?" ruft schon die nächste Frau quer über den Parkplatz und zeigt mir mit ihrer Thumbs-up-Geste, dass ihr mein Auftritt gefällt. Die Angestellten des Supermarkts grinsen und machen aus der Entfernung Fotos mit ihrem Handy.
Okay, denke ich, negative Reaktionen gibt es schonmal keine. Aber die Leute finden meinen Look offensichtlich kurios und verbinden diesen wohl eher mit Sexualität als mit einem ganz normalen Straßenoutfit.
Dann will ich mir eine Portion Pommes holen. Der Chef der Dönerbude ist sichtlich irritiert. Als ich ihn frage, ob wir ein paar Fotos an seinem Stand machen dürfen, lächelt er peinlich berührt und schickt mich weg. Dass er mein Gesicht unter der Maske nicht erkennen kann, scheint ihm nicht geheuer zu sein.
Liegen diese Reaktionen also eher an meiner Maske als am Latex an sich? Irgendwie kann ich verstehen, dass es die Menschen befremdet, mein Gesicht nicht sehen zu können. An den Mund-Nasen-Schutz, den wir während der Pandemie tragen mussten, haben wir uns offensichtlich schon gewöhnt. An komplette Gesichtsbedeckungen noch nicht.
Den nächsten Supermarkt betrete ich deswegen ohne Maske. Und siehe da: Kein Mensch reagiert. Ich bin erstaunt. Manche streifen mich mit ihren Blicken, um sich danach desinteressiert wieder ihren Einkäufen zu widmen. Schade eigentlich. Wo mein hauteng anliegendes Outfit doch auch ohne Maske ein solcher Hingucker ist! Ich habe auf jeden Fall Feuer gefangen. Jetzt will ich mehr. Mehr Reaktionen, mehr Gespräche.
Vorbei an der Polizei
Also fahre ich ein paar Monate später in die Augsburger Innenstadt. Ausgerechnet am heißesten Tag des Julis. Augsburg habe ich noch in ziemlich negativer Erinnerung. Als ich dort vor ein paar Jahren mit einem luftigen Oberteil ohne BH drunter durch die Einkaufsstraße gelaufen bin, rief mir eine Zwanzigjährige lauthals hinterher: "Kauf dir mal einen BH!"
Einen BH habe ich auch diesmal nicht an. Dafür wieder die volle Latexmontur, inklusive Maske. Heute möchte ich die Bedingungen meines Experiments verschärfen. Ich bitte einen guten Freund, der als CyberDiver79 auch im JOYclub unterwegs ist, mir unauffällig zu folgen und nur heimlich Fotos zu machen, damit der schützende Rahmen eines Fotoshootings wegfällt.
Als ich in die belebte Annastraße abbiege, um zum Rathaus zu gelangen, stelle ich erschrocken fest, dass die Polizei dort heute mit einem großen Stand über ihre Arbeit informiert. Kann ich da entlang gehen? Was ist mit dem Vermummungsverbot? Das gilt ja eigentlich nur auf Demonstrationen, aber Petplayer wurden selbst bei CSD-Veranstaltungen schon öfter dazu aufgefordert, ihre Puppy-Masken abzunehmen.
Kurz überlege ich, die Richtung zu wechseln. Ich möchte nicht, dass mein Experiment gleich zu Beginn schon wieder endet. Ohne Maske wären die Reaktionen nur halb so interessant. Schnell fliehe ich in den Drogeriemarkt, vor dessen Eingang ich gerade stehe. Hier ist es wenigstens kühl. Mir läuft schon seit dem Verlassen des Autos das Wasser in meinem Anzug herunter.
Während ich so tue, als interessiere ich mich für Socken und Nagellack, beobachte ich die Reaktionen der Menschen, die hier einkaufen. Die Kinder starren mich mit großen Augen an, ein paar Jugendliche kichern, eine ältere Dame tuschelt mit ihrer Freundin.
Dann bleibt eine Frau vor mir stehen und strahlt mich an. "Was bedeutet dieses Outfit?", fragt sie. "Was empfinden Sie denn, wenn Sie mich so sehen?", frage ich zurück. "Es ist schon ein wenig unheimlich", sagt sie und strahlt mich weiterhin an. Vielleicht, weil sie bemerkt hat, dass ich nicht beiße. Jetzt kommt auch ein Mann dazu.
Das kann ich gut nachvollziehen. Von Fetischismus haben die beiden offenbar noch nie etwas gehört. Ich kläre sie über mein Experiment auf, verteile Visitenkarten und verabschiede mich von zwei Menschen, die mir jetzt äußerst freundlich gesinnt sind.
Langsam bekomme ich auch wieder einen kühlen Kopf und mein Gehirn schaltet sich ein. Was soll mir schon passieren? Ich verlasse den Drogeriemarkt und stolziere tapfer in den furchtbar drückenden Lackstiefeln an der Polizeistation vorbei. Die anwesenden Polizist:innen nehmen Notiz von mir, zeigen aber kein Interesse.
Catwoman-Alarm!
Da springt mir ein Mann vor die Füße. "Wer sind Sie?" "Wie, wer bin ich?", frage ich verständnislos zurück. "Welche Figur sind Sie? Aus welchem Film?"
Auch dieser Mann hat noch nie etwas von Fetischismus oder von Latex gehört. Ich lasse ihn meinen Anzug berühren und kläre ihn auf.
Ich weiß nicht, ob er wirklich verstanden hat, worum es geht, aber er wirkt jetzt sehr glücklich.
Als endlich das Rathaus vor mir auftaucht, laufe ich direkt an einer Reisegruppe vorbei. Mein Anblick scheint wie ein starker Espresso auf die älteren Menschen zu wirken. Munter werden Handys gezückt, um die Touristenattraktion, die ich ihnen heute biete, für Verwandte und Bekannte ins digitale Fotomäppchen zu bannen.
Selbst im Café, wo ich ein Wasser trinke, um den Verlust von gefühlt zwei Litern Schweiß auszugleichen, werde ich trotz der Maske genauso freundlich bedient wie die Gäste um mich herum. Die meisten Menschen, an denen ich heute vorbeigehe, schauen mir hinterher, grinsen oder versuchen, mich auffällig unauffällig zu ignorieren, aber genauso würde ich auch reagieren, wenn mir zum Beispiel jemand in einem grünen Hulk-Anzug begegnen würde. Denn das scheint die Mehrheit mit meinem Outfit zu assoziieren.
Ich frage mich, was passieren würde, wenn ich das Experiment in einer Burka wiederholen würde. Oder wenn nicht eine schlanke Frau wie ich im Latexanzug stecken würde, sondern beispielsweise ein fülligerer Mann. Würden die Menschen dann auch noch so offen reagieren?
Augsburg hat heute auf jeden Fall sein sonnigstes Gesicht gezeigt. "Das Schöne ist doch, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der man so etwas machen kann", sagt ein älterer Herr am Ende zu mir, und besser könnte auch ich es nicht auf den Punkt bringen.
Mein Fazit: Rein in die Latex-Klamotten und raus auf die Straße!
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Buchvorstellung: "'Nicht normal' ist ganz normal"
Wer bestimmt eigentlich, was "normal" ist und sind wir nicht alle ein bisschen kinky? Antje Nikola Mönning erzählt von ihrem eigenen Weg zu einer befreiten Sexualität und hat auch Geschichten von anderen Menschen im Gepäck: Paare in offenen Beziehungen, eine selbstbestimmte Prostituierte, eine trans Frau, BDSM-Praktizierende und viele mehr.
Buchinformationen:
"'Nicht normal' ist ganz normal: Liebe und Sex in doppelmoralischen Zeiten"
Verlag: wtp-verlag
368 Seiten
Softcover: 16 EUR
ISBN: 978-3910480087
Aus der Joyclub-Mediathek: "Latex Sessions"
Der Therapeut Parker begrüßt in intimer Atmosphäre eine neue Patientin: Eine hübsche junge Frau, die jede Woche in exquisiten Latex-Outfits zu den Sessions erscheint. "Latex Sessions" macht Lust auf die zweite Haut!
Regie: Erika Lust | 2016 | leihen für 2,99 Euro | kaufen für 7,95 Euro
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