Wie viele Gründe brauchst du, um dich in ein Latex-Outfit zu werfen? Unsere Autorin war auf der FOLSOM unterwegs, einem queeren Fetisch- Straßenfest in Berlin. Lies hier von ihren hautnahen Begegnungen mit der Szene.
Von Nina Ponath
Das musst du dir anschauen!
Sex ist nicht nur Körper. Sex ist Kopf. Kopfkino. Manchmal sind es Szenarien, die es entfachen, manchmal ist es Kleidung, die die Synapsen kickt.
Ich persönlich freue mich meist schon, wenn ich ausnahmsweise mal einen BH in meiner Schublade finde, der farblich zum Höschen passt. Doch ich weiß um den Reiz bestimmter Kleidung für manche Menschen.
Mein bester Freund Tim ist so einer. Er und sein Ehemann stehen auf Latex. "Das musst du dir anschauen!", schwärmte mir Tim vor einigen Wochen vor.
Es ging um die FOLSOM, dem Berliner Straßenfest, das seit 2003 jedes Jahr im September stattfindet und Tausende von Latex-, Leder- und Neopren-Fans aus ganz Europa anzieht, um hier ihre Liebe für besondere Materialien zu feiern.
Mal so richtig glänzen: Latex-Fetisch
Beim Latex-Fetisch liegt der Fokus ganz auf dem glänzenden Material, das ich bisher nur aus Britney Spears' Musikvideo "Oops! … I Did It Again" kenne. Latex-Fetischist:innen fühlen sich durch das Tragen von Latex-Kleidung oder -Accessoires stimuliert. Oft leben sie den Fetisch auch in Kombination mit BDSM aus.
Ich habe, soweit ich weiß, keinen Fetisch. Ich mag an meinen Sexualpartnern das Gesamtpaket, ohne dabei sagen zu können, ob es nun die Füße, die breite Brust oder die starken Arme sind, die mich anturnen. Dennoch würde ich gerne verstehen und spüren, wie es ist, durch Körperpartien, Materialien oder Formen erregt zu werden. Mein Entschluss ist also gefasst und die Korsage wenig später anprobiert.
Stimulierend wirkt diese aber so gar nicht auf mich. Genauso wenig wie die anderen Latex-Stücke, die ich zwei Monate vor dem Event, in der Hamburger Erotik-Boutique Bizarre anprobiere: Die Tops, Korsagen und Kleider aus der glänzenden Fetischbekleidung sind nur mit viel Ziehen, Zupfen und Zerren (aber bitte VORSICHTIG! Latex reißt schnell) in Position zu bringen.
Zum Glück ist Tim dabei, der ein echter Latex-Profi ist. Das Ergebnis, ein Top für immerhin stolze 129 Euro, kann sich zugegebenermaßen sehen lassen. Irgendwie schaffen es diese Gummi-Outfits, all das in Form zu bringen, was sich sonst irgendwie "verkehrt" am Körper anfühlt. Vielleicht wird das ja doch noch was mit dem Fetisch und mir.
Am 17. September ist es so weit. Tim und ich werfen uns in unserem Hotel in Berlin-Schöneberg in (Latex-)Schale. Tims Ehemann, der eigentlich mit dabei sein wollte, und der ihn damals, vor zehn Jahren, überhaupt erst zum Latex gebracht hat, ist leider krank, und so muss Tim mit mir allein vorliebnehmen.
Vorurteile gegen Latex – und was dran ist
"Ist Sven gar nicht eifersüchtig, dass du ohne ihn hier bist?", frage ich meinen besten Freund, der in engen Pants und einem Muskelshirt steckt. Am Bein setzt sich ein gelber Streifen vom glänzenden Schwarz ab. Gelb steht für Urin – so weiß jeder gleich, woran er bei Tim ist. Beziehungsweise, woran man bei ihm wäre, denn für Tim ist die FOLSOM weniger ein Setting, um Männer aufzureißen, als viel eher die seltene Gelegenheit, endlich mal wieder Latex zu tragen.
"Nur weil ich heute was zu gucken habe, heißt das doch noch lange nicht, dass ich auch irgendwas Dummes anstelle. Und die Kleidung ist doch viel zu schade, um ein Dasein im Schrank zu fristen." Überhaupt würden sich Menschen mit unterschiedlichsten Neigungen und in den unterschiedlichsten Beziehungsmodellen zu Latex hingezogen fühlen. "Wenn wir bei uns in der Runde erzählen, dass wir auf Latex stehen, kommen immer irgendwelche dummen Kommentare. Dabei sind wir seit zehn Jahren in einer Beziehung. Das ist selten genug."
Nix für Spontane: Latex und Leidenschaft
Latex spielte für Tim nicht immer im Leben eine Rolle. "Ich stand schon immer auf attraktive Körper, ist ja klar. Als Sven meinte, er stehe auf Latex, waren wir gerade erst zwei Wochen zusammen. Er war deshalb ziemlich aufgeregt; das ist ja schon etwas, für das du Vertrauen zum Partner haben musst. Als er früher seinem Ex-Freund davon erzählt hat, wurde er nur ausgelacht. Ich bin immer dafür, sich sein eigenes Urteil zu bilden und wir haben es dann irgendwann ausprobiert." Wie es war?
Heute holen Tim und Sven die Latex-Kostüme alle paar Monate aus dem Schrank. Häufiger schaffen sie es nicht, was alleine schon dem Aufwand geschuldet ist, sich die Outfits anzuziehen.
Aus diesem Grund ist das Paar auch immer gern auf der FOLSOM. "Sonst lernt man Leute mit demselben Fetisch nur im Internet kennen. Da ist es schön, sich hier mal live auszutauschen." Auch die Blicke anderer wirken auf meinen Freund und seinen Ehemann stimulierend. "Normalerweise gehen wir dann völlig aufgeladen ins Hotelzimmer."
Die meisten Latex-Fans lieben das Gefühl auf der Haut und das anschmiegsame Material, das dem Körper Kontur verleiht und zu vermehrtem Schwitzen führt. Auch die Entpersonalisierung, das Gefühl mit dem Material zu verschmelzen, steht für manche Latex-Fans bei ihrem Fetisch im Vordergrund, weshalb auf der FOLSOM auch viele Fetischist:innen mit Maske zu sehen sind. Die Träger darunter sind völlig anonym und wirken auf mich fast schon surreal.
Mich selbst macht das Gefühl meines Latex-Tops auf der Haut nicht besonders an. Klar, zwischen Latex und meine Haut passt kein Blatt Papier, was sich schon irgendwie speziell anfühlt. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich aber immer nackte Haut bevorzugen. Allein schon, weil dann der Gummigeruch, auf den manche besonders stehen, wegfällt.
Latex: Der Stoff, aus dem Rollenspiele sind
"Ich stehe einfach drauf, mich zu verkleiden", sagt ein anderer Besucher, mit dem ich auf der FOLSOM ins Gespräch komme. Er ist als Knecht verkleidet, sein Pferd hält er fest am Zügel.
Und weiter: "Ich finde Latex unglaublich ästhetisch. Man sieht darunter die Körperform, das befeuert und macht Lust auf Sex. Die Aussicht, später mit meinem Freund zu schlafen, macht mich unglaublich an."
Wie entlädt sich sexuelle Energie, die im Latexkostüm gefangen ist? Auf eine eher umständliche Art. "Du musst das Material unbedingt geschmeidig halten", sagt Tim. Er setzt an seinen Latex-Tagen ganz auf Silikonöl, mit dem er sich und sein Outfit großflächig einreibt. Sich so einfach die Klamotten vom Leib zu reißen, ist bei Latex nicht drin.
Das merke ich nur allzu deutlich, als ich abends, völlig erschöpft, von der FOLSOM zurück ins Hotelzimmer kehre: Alles an mir klebt, meine Jeans ist nass und mein Latex-Top ist mit meiner Haut zu einer undefinierbaren Masse verschmolzen. Wer dem etwas abgewinnen kann, muss das Material wirklich lieben, denke ich. Für meine Latex-Investition geht es jetzt erstmal zurück in den Schrank.
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