Sex mit jemandem zu haben, der HIV-positiv ist, war für mich früher komplett ausgeschlossen. Bis ich mit meinem Ehemann zusammen kam. Wie wir kondomfreien und dennoch sicheren Sex miteinander haben und warum noch immer so viele Vorurteile und Fehlinformationen über HIV kursieren.
Aufgeschrieben von Nina Ponath
We found love in a hopeless place
Lars und ich lernten uns über eine Dating-App kennen, zu einem Zeitpunkt, an dem ich gar nicht mehr damit gerechnet hätte, dass ich mich verliebe. Ich hatte das Date deshalb extra schon so eingerichtet, dass ich mich im Notfall hätte verziehen können, wir trafen uns nachmittags gegen 15 Uhr in einem Café gegenüber meiner damaligen Wohnung. Hätte Lars mir nicht gefallen, wäre ich unter einem Vorwand, wie "Meine beste Freundin und ich sind zum Telefonieren verabredet", oder "Zu mir kommt gleich ein Handwerker", nach einer Anstands-halben Stunde wieder gegangen.
Bin ich aber nicht. Lars gefiel mir schon vom Weiten, als ich mal wieder viel zu spät um die Ecke kam und mein zukünftiger Mann dort schon wartend stand, perfekt gekleidet in einem grauen Anzug und weißem Hemd, mit seinem gewinnenden Lächeln auf den Lippen. Muss ich noch sagen, dass ich sofort schockverliebt war?
Ich ging später doch noch hinüber in meine Wohnung, allerdings nicht allein. Wir führten das Date in meinem Bett fort, wo wir uns küssten, uns die Kleider vom Leib rissen, und einfach nur nackt nebeneinander lagen, Arm in Arm, und die Gegenwart des Anderen genossen.
Von da an war es um mich geschehen.
"Du, ich muss dir was sagen."
Lars und ich trafen uns fast täglich: Wir verabredeten uns zum Kaffee, auf einen Spaziergang (obwohl es da noch gar keinen Lockdown und Corona gab …) und lernten uns und unsere Körper immer besser kennen. Wir waren dabei natürlich auch nackt und hatten unsere Hände auch mal am Penis, am Po und unsere Finger im Mund des Anderen. Irgendwie machte Lars dabei aber nicht den Eindruck, als wollte er mehr. Und mir war das auch recht.
Ich hatte in der Vergangenheit öfters den Fehler gemacht, dass ich zu schnell mit Männern, die ich gerade erst kennengelernt hatte, schlief. Oder vielleicht nicht zu schnell – was ist das schon, "zu schnell"? Manchmal fand ich es nur irgendwie doch verletzend, wenn ich mit jemandem, den ich gerade erst kennengelernt hatte, Sex hatte, und danach nichts mehr von ihm hörte. Spaß hin oder her. Deshalb störte ich mich zuerst auch nicht daran, dass Lars keine Anstalten machte, mit mir zu schlafen.
Nach einer Woche, die wir uns gedatet, geschmust und viel geredet hatten, sagte Lars zu mir: "Du, ich muss dir jetzt was sagen. Ich sage dir das lieber jetzt gleich zu Anfang, weil es sein kann, dass du mich nicht mehr weiter kennenlernen willst, wenn ich es dir erzählt habe." Lars wirkte total aufgeregt. Er war hibbelig, sein Herz, das ich durch den Brustkorb spürte, raste und er machte eine Pause, wie um Mut zu fassen, ehe er sagte: "Ich bin HIV-positiv."
Schon gewusst?
Es gibt mittlerweile verschiedene Dienste, die Tests für zu Hause anbieten, beispielsweise s.a.m health. Darüber kannst du dich auf HIV, Chlamydien, Syphilis und Gonorrhö testen lassen.
Erfahre mehr über den HIV-Selbsttest
Sex mit HIV?
Die Nachricht traf mich wie ein Schlag in den Bauch. HIV-positiv. Das war eines der Dinge, vor denen ich mich immer am meisten gefürchtet hatte. AIDS, HIV, Krebs … alles, was man eben absolut nicht unter Kontrolle hat. Mir zog sich der Magen zusammen.
"Und, was heißt das für dich?", fragte ich Lars.
Ich gab mir Mühe, nicht zu abweisend zu klingen, aber mir war dennoch meine Enttäuschung anzuhören. Sex gehörte für mich zum Kennenlernen und zu einer Beziehung einfach dazu. Wenn ich jemanden mag und mich verliebe, will ich diese Person auch ganz schmecken, spüren, mit ihr Sex haben.
"Ich habe trotzdem Sex. Sogar ungeschützten. Verurteile mich jetzt nicht", schob Lars schnell hinterher, als er mein schockiertes Gesicht sah. Lars fing dann an zu erzählen. Wie er sich infiziert hatte, weil ein One-Night-Stand einfach das Kondom hatte verschwinden lassen, wie er sich testen lassen hatte und wie er von seiner Infektion erfahren hatte. HIV.
Auch bei Lars hatte sich bei den Worten alles zusammengezogen. Er sei damals verwirrt gewesen, fühlte sich unwirklich, so, als wäre er gar nicht mehr in seinem Körper. Erst zu Hause hatte er angefangen, sich mit der Diagnose zu beschäftigen, damit, was HIV wirklich hieß, was es im Alltag bedeutet.
"HIV ist heute kein Todesurteil mehr", fuhr Lars weiter fort und erzählte mir von Medikamenten, Truvada und Trivicay, die die Viruslast so niedrig halten, dass so sogar ungeschützter Sex möglich sei. Lars sei in Therapie und mittlerweile gut eingestellt, schloss er seine Erzählung und schaute mich ängstlich an. An diesem Punkt, das war mir klar, mussten potenzielle Partner, die Lars kennenlernte, ihm verraten, ob sie mit seiner Infektion leben konnten oder nicht.
Ich wagte die Flucht nach vorne: "Nimmst du mich mit zum Arzt?"
Raus aus der Tabuzone
Nach dem gemeinsamen Arzttermin wusste ich einiges mehr über HIV. Ich, als Kind der 90er, bin wie viele andere in dem Glauben aufgewachsen, dass HIV immer zwangsläufig mit dem Tod endet. In der Schule haben wir noch nichts gelernt von Truvada, Trivicay und anderen Medikamenten, mit denen man die Viren in Schach halten kann. Daneben gibt es PrEP, sogenannte Prä-Expositions-Prophylaxe, die man als HIV-negativer Mensch als Schutz vor HIV nehmen kann, und die ähnlich wirksam wie Kondome sind.
Ganz easy ist die Therapie natürlich nicht. Bei manchen schlagen die Medikamente nicht an, oder sie verursachen Probleme an den Entgiftungsorganen, weil sie sich über Leber und Niere abbauen. Lars hat aber das Glück, dass er seit Jahren gut eingestellt ist und das Virus im Blut nicht mal mehr nachweisbar ist, so niedrig ist die Virenlast.
Nach dem Arzttermin ging es mir mit der Sache wesentlich besser; ich wusste jetzt besser, womit ich es zu tun hatte. Trotzdem möchte ich nicht behaupten, dass das Virus ganz aus meinem Kopf gewesen wäre.
Anfangs war es immer mit dabei, selbst wenn wir mit Kondom miteinander schliefen. Ich habe Lars immer gefragt, ob er die Medikamente nimmt, aus Unbehagen, aus Angst. Das hätte ich eigentlich nicht tun müssen, weil mein Mann damit schon immer sehr verantwortungsbewusst umging. Wenn man mal eine Tablette vergisst, ist es auch nicht so, dass sich das Virus sofort vermehrt und ansteckend ist. Man fährt dann einfach mit der Einnahme des Medikaments fort.
Das erste Mal: geschützt durch die richtige Therapie
Nach einem halben Jahr hatten wir zum ersten Mal ungeschützten Sex; das war für mich ein großer Schritt und Lars fragte mich davor auch immer wieder, ob es tatsächlich okay für mich wäre. Danach dauerte es noch ungefähr zwei Jahre, bis ich beim Sex gar nicht mehr daran denken musste. Heute sind die Gedanken an die Infektion meines Partners ganz verschwunden. Ich selbst muss mich einmal im Jahr auf das Virus testen lassen.
Ich bin froh, dass ich Lars damals zugehört habe, als er mir von seinem "Mitbewohner" – so nennen wir das Virus immer – erzählt hat. (Lars ist übrigens immer, wenn er dachte, daraus könnte etwas Ernstes werden, seiner Verantwortung nachgekommen und hat seinen Dates VOR dem ersten Sex davon erzählt. Nicht immer war das Feedback so positiv, und er wurde einige Male beschimpft.)
Ungeschützten Sex miteinander zu haben, ist unsere persönliche Entscheidung als Paar und wir fühlen uns gut damit. Was man dazu aber sagen muss: Wir leben monogam und andere Sexualpartner sind für uns tabu. Hätten wir wechselnde Partner, wäre auch trotz Medikamenten Safer Sex angesagt. Medikamente sind kein Freifahrtschein; jede Krankheit schwächt das Immunsystem und auch die Langzeitwirkung ist nicht gänzlich erforscht.
HIV ist nicht heilbar, das stimmt. Aber behandelbar. Wie viele das nicht wissen, ist mir erst neulich wieder aufgefallen, als ich meinem Lieblingskollegen über die heutigen Therapiemöglichkeiten aufgeklärt habe. Das liegt daran, dass die Krankheit immer noch so sehr stigmatisiert wird. Ich bin froh, dass ich Lars zugehört habe, als er mir von seiner Erkrankung erzählt hat. Wissen schützt. Nicht nur vor eine Infektion, sondern auch vor Angst und dem Stigma. Spread the word.
Was weißt du über sexuelle Gesundheit? Finde es über unser Quiz heraus.
Drei Fragen an Pia Müller von der Deutschen Aidshilfe
JOYclub: Wir haben mit dem Partner eines HIV-erkrankten Mannes gesprochen. Wie sicher ist Sex ohne Kondom in einer Beziehung, wenn einer der Partner HIV-positiv ist und eine erfolgreiche Therapie macht?
Pia Müller: Heutzutage gibt es im Zuge von antiretroviralen Therapien Medikamente, die eine Ansteckung verhindern; dann spricht überhaupt nichts gegen Sex ohne Kondom. Die Viruslast kann durch eine solche Therapie so weit gesenkt werden, dass HIV nicht mehr im Blut nachweisbar ist. Das ist dann eine reine Vertrauenssache zwischen den Partnern, ähnlich wie bei der Antibaby-Pille. Da muss einfach darauf vertraut werden, dass der Partner oder die Partnerin das Medikament nimmt. Vor den anderen sexuell übertragbaren Krankheiten schützen die HIV-Medikamente allerdings nicht. Dafür bietet das Kondom nach wie vor den besten Schutz.
JOYclub: Ist Sex ohne Kondom bei einer Therapie komplett bedenkenlos?
Pia Müller: Die Therapie ist ein wirksamer Schutz vor Übertragung. Bei Menschen, die über einen längeren Zeitraum gut medikamentös eingestellt sind, gibt es überhaupt kein Ansteckungsrisiko mehr. Antiretrovirale Medikamente sind also nicht nur wichtig, um Menschen mit HIV ein gesundes Leben zu ermöglichen, sondern auch weil sie weitere Übertragungen verhindern können.
JOYclub: Der Betroffene, mit dem wir für unseren Artikel gesprochen haben, hat erzählt, dass er anfangs dennoch ein mulmiges Gefühl beim Sex ohne Kondom hatte. Hören Sie das öfter?
Pia Müller: Ja. Die Sicherheit eines Kondoms kannst du sehen. Die Wirkung der Medikamente nicht, darauf muss du dich verlassen. Das fällt nicht immer leicht. Dabei ist die Schutzwirkung der HIV-Medikamente zur Verhinderung einer Infektion der Partner sogar deutlich höher als die des Kondoms.
Ein anderer Grund: HIV wird leider noch immer häufig stigmatisiert. Menschen mit HIV und deren Partner*innen können sich mit ihren Bedenken hinsichtlich eines bestimmten Übertragungsrisikos gerne an die Deutsche Aidshilfe oder an eine der vielen lokalen Aidshilfen und Beratungsstellen deutschlandweit wenden. Die Berater*innen sind vor Ort oder telefonisch erreichbar, gehen diskret und durchaus sexpositiv auf die individuelle Fragestellung ein und machen den Betroffenen wie in dem hier beschriebenen Beispiel Mut.
Aufklärung zum Thema HIV und Gespräche innerhalb der Bevölkerung, das heißt unter Liebhabern, Freunden, Kollegen und innerhalb der Familie, sind ein wichtiger Schritt, um Vorurteile gegenüber Menschen mit HIV endlich abzubauen und Stigmatisierung aktiv zu bekämpfen.
Telefonische Beratung der Deutschen Aidshilfe: 0180 33 19411 oder online www.aidshilfe-beratung.de
Die passende JOYclub-Gruppen
Du willst Menschen finden, denen Sicherheit und sexuelle Gesundheit so am Herzen liegen, wie dir? Wir haben ein paar Gruppenempfehlung parat – für einen regen Austausch und vielleicht für mehr.
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