Ich habe eine Affäre. Sie ist das Schönste, was mir in den letzten Jahren widerfahren ist – und zugleich das Schlimmste. Denn eine Affäre fordert irgendwann eine Haltung ein, die weit über sie hinausreicht. Protokoll eines (un-)moralischen Ringens.
Aufgeschrieben von Alex Todorov | Illustrationen: Tess Szymanowski
Intro: Eine Affäre ist eine Entscheidung
Mein Vater hatte über die Jahre zahlreiche Affären. Bis weit über meine Jugendtage hinaus habe ich ihm das stets in einem Reflex der Verteidigung meiner Mutter vorgeworfen. In seinem willentlichen und bewussten Betrug lag einer der Hauptgründe, dass ich ihn nie nahe an mich heranlassen wollte. Denn was ich in meiner jugendlichen Naivität vorausgesetzt habe und was im Kern auch stimmt: Eine Affäre ist eine Entscheidung. Eine Affäre beinhaltet keine Zwangsläufigkeit. Niemand muss eine Affäre haben. Mein Vater hätte sich gegen das Fremdgehen entscheiden können. Ich hätte mich dagegen entscheiden können.
Selbst zu betrügen, eine Affäre zu haben, stürzt mich in zwei miteinander verzahnte Gedankenspiralen. Die erste – ein Klassiker: die Angst, so zu werden wie der Vater. Oder die Mutter. Die Angst, die gleichen falschen Entscheidungen aus den gleichen Schwächen heraus zu treffen, Biografien übereinander zu legen und zu sehen, dass sie sich an den kritischen Stellen decken. Eine Angst, die mich erstmals gestreift hat, als ich auf den Monat genau im selben Alter wie mein Vater selbst Vater geworden war.
Die zweite Gedankenspirale: Wie rechtfertige ich mir gegenüber, was ich meinem Vater nie verzeihen wollte? Mit der schleichenden Veralltäglichung der Beziehung? Mit den als Nöten empfundenen Sehnsüchten? Mit schlauchenden Lebenssituationen, die einen verleiten? Damit, dass sich in diesem brüchigen Motivmosaik nach und nach die integeren Handlungsoptionen eliminieren, so dass sich eine Affäre (bzw. ihr Verschweigen) irgendwann wie das kleinere Übel anfühlt? Damit, dass so die Affäre zum Hut wird, unter den man glaubt, tatsächlich die eigenen Sehnsüchte mit dem Erhalt des großen Ganzen zusammenbringen zu können?
Nichts davon entkräftet den Fakt, dass eine Affäre eine Entscheidung ist – die ich für mich mit Ja beantwortet habe. Eher macht sie alles noch schlimmer: Denn eine Affäre mag eine Entscheidung sein, zugleich ist sie pure Ent-Haltung, Vermeidung, Wegducken.
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1. Strophe: Karneval auf Meskalin in Dauerschleife
Ich liege am Rücken der Frau. Blicke ihr in den von meinem Biss leicht geröteten Nacken. Nehme ihren Duft auf. Fahre mit meinen Fingerspitzen über ihren angewinkelten Oberschenkel und erkunde tastend das wie ein Stempel in ihre rechte Hüfte eingeprägte Muttermal. Noch nie habe ich die Lust einer Frau derart genossen. Wärme, Begehren und Neugier. Diese Worte fallen mir ein, wenn ich mich frage, was mir meine Affäre gibt.
Die meisten Affären entstehen aus einer sexuellen und emotionalen Mangelernährung heraus. Nähe und Lust, Aufmerksamkeit und Neugier flackern nur noch spärlich. Ähnlich und doch ganz anders bei mir. Die Kurzvariante: Die zupackende, heftige Lust gab es in meiner Beziehung von Beginn an nur von meiner Seite aus. Dann kamen unsere beiden Kinder dazu. Ende. Menschlich hat es immer funktioniert. Wir haben aufeinander aufgepasst. Selbst die kleinen Zeichen der Aufmerksamkeit hat der Alltag nicht fortgespült. Aber das große, überwältigende Gefühl, die energetische Symbiose, die fehlte.
Dabei ist mir jedes Mal bewusst, wenn ich an das denke, was mir zum Glücklichsein vermeintlich fehlt, dass der vernunftbasierte Verzicht auf dieses mitreißende Gefühl zum natürlichen Reifeprozess einer jeden Beziehung gehört. Wie schon oft konstatiert: Verliebtsein ist ein irres Gefühl. Aber es trägt keinen dauerhaften Beziehungsalltag. Es wäre wie Karneval auf Meskalin in Dauerschleife. Wie ein Song, der nur aus Refrains besteht. Das zermürbt. Ebenso wie ein Song nur aus Strophen. Aber vor dem Hintergrund zu vieler Strophen habe ich Bock auf Refrains im Überfluss. Dick aufgetragen, hymnisch, überlebensgroß.
1. Bridge: "Scheiß drauf!"
Die Bridge zum Refrain verläuft so: Während ich mit einer Ex-Kollegin etwas trinken gehe, treffen wir die Frau mit dem gestempelten Muttermal. Sie ist etwas jünger, Anfang 30, in Begleitung eines Freundes und mit meiner Ex-Kollegin bekannt. Zu viert ziehen wir in eine Kneipe. Über Kreuz reden wir uns fest. Über Stunden hinweg. Alles um uns herum blendet aus, als würde jemand den Umgebungspegler auf Null ziehen. Wir sind zu zweit in einer überfüllten Kneipe. Zu abgestandenen Salzstangen erzählt sie von ihrer explosiven Beziehung zu ihrem malaysischen Vater, ich zu polnischen Raketen – sie trinkt keinen Alkohol – von den Auswirkungen, die die Haftstrafe meines Großvaters auf die Familie hatte. Was wir erzählen und wie wir es uns erzählen, sagt: Wir sind uns nah, teilen Empathieverständnis und Werte.
Kurz vor der Morgendämmerung mache ich mich gerade und wage mit einem Kompliment einen zaghaften Vorstoß. Ich sage ihr schlicht, dass sie wunderschön aussieht. Sie blockt ab, kurz darauf gehen wir auseinander. Am nächsten Morgen merke ich, wie schwer es mich erwischt hat. Volle Breitseite. Die Ex-Kollegin rät mir ab, die Frau mit dem Muttermal sei in einer Beziehung. Wochen später treffe ich sie wieder, zufällig. In ihrer Reaktion zwischen Verunsicherung und Freude glaube ich zu erkennen, dass sie ebenso lebhafte Reste unseres ersten Abends mit sich herumträgt. Wir verabreden uns, eher unbeholfen. Wieder polnische Raketen (ich), Salzstangen (sie) und Gespräch (wir beide). Bis sie, Stunden später stehen wir vor der Kneipe und suchen ungelenk nach einer angemessenen Verabschiedung, kurz ins Leere blickt, Luft holt, "Scheiß drauf" raunt, mich überraschend innig küsst und im Morgengrauen verschwindet. Der beglückende Sieg der Unvernunft. Als würde man jemandem alle überlebensnotwendigen Medikamente absetzen und merken, dass die Person plötzlich aufblüht.
1. Refrain: Wieder Teenager
Am Anfang war das Küssen. Nein, kein Küssen. Es ist Knutschen. Wilde, ungestüme, pubertäre Lippengefechte. Ich habe auch andere Frauen geküsst. Aber es war: eben nur Küssen. Erotisch und sinnlich. Aber im Vergleich irgendwie zurückgenommen, seltsam vernünftig, fast pflichtbewusst.
Überhaupt: Ich kann die Finger nicht von ihr lassen. Muss sie berühren. Eine flirrende Mischung aus Tic und Zwangshandlung. Wir treffen uns in fremden Stadtteilen und Wohnungen, finden Ausreden und Lücken, treffen uns manchmal nur für Minuten, prallen auf- und stieben auseinander. Es sind nie bloße Ficktreffen, auch wenn Sex eine tragende Rolle spielt. Es fühlt sich an, als würde ich nach einem Gedächtnisverlust allmählich verschüttgegangene Erinnerungen und Fähigkeiten wiederentdecken.
2. Strophe: Point of no Return
In der Luftfahrt gibt es den PNR, den Point of no Return. Ist dieser Punkt überschritten, kann der Start nicht mehr abgebrochen werden. Fliegen oder sterben. Unser PNR: ein gemeinsames Wochenende. Es steht auf der Kippe, weil es auf eine Woche folgt, die uns in Frage stellt. Die Intervalle, in denen wir uns anziehen und abstoßen, sind noch kurz getaktet, das Miteinander ist oft arg aufreibend, vor allem, sobald wir Zeit und Raum dafür bekommen, darüber nachzudenken, was das denn ist, was wir miteinander haben. Zwei Tage vor dem geplanten Wochenende entscheiden wir uns, es durchzuziehen – und fallen dann ineinander wie zwei Puzzlestücke aus Haut. Wir sind aus der Welt. Bis die Welt uns zurückhaben möchte.
Es folgt, was uns noch oft begegnen wird: die heftigen Gefühlsabschwünge, wenn diese Wochenenden sich dem Ende zuneigen. Auf der Rückfahrt schiebe ich ihr im Auto leise die Überlegung einer gemeinsamen Beziehung zu. Sie weist sie zurück. Es würde veralltäglichen. Strophen haben wir schon. Wir sind uns gegenseitig der Refrain. Und würden Strophen zwischen uns überhaupt klingen oder doch eher in einer dissonanten Kakophonie münden?
Wir sehen uns etwa ein bis zwei Mal die Woche, verbringen bestenfalls ein Wochenende im Monat miteinander, fahren in eine andere Stadt, bekochen und lieben uns in Airbnb-Wohnungen. Ein jedes Treffen ein logistischer Coup. Bald nach unserem PNR sage ich ihr: Was wir haben, ist eine feste Affäre. So nah, wie wir uns mittlerweile stehen, haben wir einen enormen Einfluss auf das gegenseitige Wohlbefinden. Wir sind füreinander verantwortlich. Sie spürt es und ist zugleich darüber erschrocken. Sie meint: Wir sind Intensitätsjunkies. Leider wahr. Um die gleiche Wirkung zu erzielen, müssen wir die Dosis und Taktung erhöhen. Knutschen reicht nicht mehr. Knutschen war unsere Bridge. Wir spielen nun den Refrain auf Rotation. Den wir mittlerweile schon mehrfach einen Halbton höher gerückt haben, um die gleiche Wirkung zu verspüren.
2. Bridge: Eine Wand aus Glas
Das Belebende an neuen Beziehungen und auch an Affären: Alte Erfahrungen, Erinnerungen und Orte lassen sich neu erzählen und deuten. Das erlaubt es, sich selbst auch neu zu erzählen. In einer langjährigen Beziehung wird schon miteinander Geteiltes nur sehr selten eine neue Perspektive, ein neues Narrativ erhalten und sich so beflügelnd in die Beziehung einspeisen lassen. Eine Affäre ist erstmal ein leeres Blatt und bietet anfänglich vielfältige Möglichkeiten der Selbstaufwertung. Das auch, weil Themen ausgeklammert werden, Sachen ungesagt oder nicht ausdiskutiert stehen bleiben müssen.
Die Kehrseite dieser thematischen Tabus: Wir reden. Bis wir nicht mehr reden. Weil plötzlich ein Thema wie eine Trennwand aus Glas zwischen uns niederfährt. Es sind kleine Sabotageakte für unsere Kommunikation. Etwa dann, wenn ich eine Geschichte habe, die passgenau an das eben Gesagte anschließt – sie aber nicht erzähle, weil sie eines der Tabuthemen streift oder einschließt. Eine gemeinsame Zukunft, ein Urlaub zu zweit, unsere jeweiligen Beziehungen. Ich bin es, der zu Beginn hin und wieder gezielt diese Schmerzpunkte – ein Mehr, ein Zusammensein – ausreizt, als würde ich an einem juckenden Schorf kratzen. Resultat: Frust und ermüdende Auseinandersetzungen.
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2. Refrain: Jeder Beziehungsanfang ist eine Illusion
Das zwischen uns ist Liebe, das glaube ich wirklich, aber auch Sehnsucht und Projektion. Wie bei einem herkömmlichen Beziehungsbeginn. Der Berliner Sexualpsychologe Christoph J. Ahlers spricht von einem Illusionsvertrag, den man mit einer Beziehung eingeht. Durch all die Erwartungen, die ein jeder in eine Beziehung hereinträgt, will man den Partner / die Partnerin eingangs nicht wahrhaben, wie er oder sie wirklich ist. Über die Dauer einer Beziehung wird die Illusion, diese Person sei das lebenslange Rundumpaket, kleiner. Je größer die Illusion zu Anfang war und je mehr sie schrumpft, desto stärker erhöht sich die Anfälligkeit für eine Affäre.
Das Muttermal und ich teilen eine große Angst: eine gemeinsame Beziehung, die uns jeweils in diese Anfälligkeit treibt. Irgendwann lasse ich los, halte mich von diesen Schmerzpunkten fern. Das, was das Muttermal und ich miteinander haben, ist das, was wir miteinander haben. Ich höre auf, mehr zu fordern. Ich gebe in unserem zaudernden Miteinander meinen letzten Rest Haltung, mein Wollen auf. Und träume mich gelegentlich doch dorthin.
Interlude: Schuld, Alarm und Paranoia
Ich bin verwundert, wie gut ich mein Heer aus Schuldgefühlen im Zaum halte. Und weiß zugleich, dass das eher gegen mich spricht. Das Muttermal erzählt mir, wie sie mit ihrem Partner Hand in Hand zufällig Freunde traf und innerlich aufschreckte, weil sie einen Augenblick lang nicht wusste, ob sie für diese Zuschauer den "Richtigen" an der Hand hatte. Wir lachen darüber. Und wissen: Affären rauen die Seele auf. Sie sind Alltag gewordene Ausnahmesituationen, Alarm und Paranoia.
Meine Schuldgefühle sind mir treue Begleiter, und das nicht nur, wenn ich mich gerade der Muttermal-Pflege widme. Was mich trifft und was ich deswegen besonders weit fortstoße: jene verirrten Dopplungen von Intimität, Berührungen, die sich falsch weil wie ein Dejà vu anfühlen. Ich möchte im Vorbeigehen die Hüfte meiner Partnerin berühren und merke wie ein Stich, das hatte ich doch heute schon. Oder wenn ich in meiner Küche sitze, mit meiner Freundin und unseren Töchtern, aber keinen Zugang in dieses Jetzt finde, weil ich 15 Minuten zuvor mit dem Muttermal einen langen Kuss im Nieselregen geteilt habe. Die Folge: Ich nehme mich in meiner Beziehung zurück, verbiete mir Nähe, weil ich glaube, sie stünde mir nicht zu.
Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Weil ich durch diesen Rückzug im Kleinen noch weniger das bekomme, was ich mir ja ursprünglich gewünscht habe und weswegen ich in eine Affäre aufgebrochen bin. Wer je etwas über emotionale Bredouillen erfahren will, dem sei eine Affäre ans feige Herz gelegt.
3. Bridge: "Erzähl es mir nicht, solange …"
Ob meine Partnerin etwas ahnt? Manchmal glaube ich, an unerwarteten Nachfragen Verdachtsmomente zu erkennen. Sie pflegt eine unsichtbare Eifersucht. Wenn sie je etwas gestört hat, habe ich stets erst Monate später davon erfahren. Und auch dann nicht geradeheraus. In unseren Anfangstagen sind wir einen Deal eingegangen: Erzähl es mir nicht, solange es nicht ernst ist. Ein jeder Paartherapeut wird sagen, das ist ein Deal, mit dem man die Haltbarkeit einer Beziehung schon von Vornherein minimiert. Das Gegenteil von "Redet über eure Bedürfnisse". Auch irgendwie: das Gegenteil von Haltung. Ob diese Abmachung überhaupt noch zählt, weiß ich nicht, wir haben seit 14 Jahren nicht mehr darüber gesprochen. Liegt genau darin ein Grundproblem unserer Beziehung? Dass wir nie eine Not verspürt haben, diesen Deal wieder zum Gespräch zu machen, ihn zu erneuern, zu streichen oder nachzuverhandeln? Ein Gedanke, der mich in unregelmäßigen Abständen erwischt. Wie auch die nagende Frage: Was würde ich sagen, wenn meine Partnerin mich heute fragen würde, ob ich unsere Abmachung je gebrochen habe?
3. Refrain: Wollen ohne Haltung
Nach bald zwei Jahren fallen das Muttermal und ich noch immer ineinander wie Puzzlestücke aus Haut. Wir leiden zwischendrin. Wir vermissen uns. Wir sind eifersüchtig auf die Zeit des anderen mit dem jeweiligen Partner. Ist sie im Urlaub, schmerzt es, vice versa. In wechselnden Abständen kracht es. Immer dann, wenn wir uns der Zuneigung der anderen Person nicht mehr sicher sind. Wenn auf eine zärtliche oder fordernde Nachricht eine eher sachliche oder flapsige Entgegnung folgt.
Ich möchte ihr meine Seelenorte zeigen, Dinge tun, die mir am Herzen liegen. Dinge, die man in einer festen Beziehung tut. Und finde keine Haltung, keinen Mut. Etwa die feste Affäre mit dem Muttermal zu beenden, weil sie sich in manchen Augenblicken wie eine (wunderschöne) Sackgasse anfühlt. Meiner Partnerin von der Affäre zu erzählen und zu schauen, was das mit uns macht. Oder gemeinsam mit dem Muttermal noch ein einziges Mal erschöpfend über eine Beziehung zu sprechen. Es fühlt sich an wie Reise nach Jerusalem, zu viert mit vier Stühlen und zwei Personen, die die ganze Zeit über sitzen bleiben. Nichts kommt voran, niemand fliegt raus, niemand gewinnt.
Coda: Wenn das Leichte bleiern wird
Als die gemeinsamen Tage zum dritten Mal wieder länger werden, kommt leichte Bewegung in unsere Situation. Nicht dass wir es deutlich aussprechen würden. Aber die Frau mit dem gestempelten Muttermal wünscht sich mehr. Sie ist verletzlicher, gibt mehr und fordert mehr. Sie lotet uns aus. Und ich? Kann damit nicht umgehen. Ich habe es mir derart gemütlich gemacht in diesem unentschiedenen Leerlauf unserer Affäre, selbst die Sehnsüchte nach mehr, wird mir nun klar, haben funktioniert, weil sie mit keinen Konsequenzen rechnen mussten. Und nun? Für das, was wir füreinander fühlen, für die Zeichen, die wir uns geben, ist eine Affäre ein viel zu eng geschnürtes Korsett. Das weiß ich seit drei Jahren. Erstmals beginnt es mir eine Scheißangst zu machen.
Rückblickend war ihr Vorstoß der letzte große Versuch, das Patt zu unseren Gunsten aufzulösen. Etwa zwei Monate darauf stößt mich ein wunderlich losgelöster Kneipenabend in einem verstreuten Stadtteil Bescheid. Nach vielen Gin Tonics, Apfelschorlen, Lachanfällen und lautlosen Berührungen bringe ich sie auf der Stange meines Rads – während ich an ihren Haaren rieche und meine Lippen an ihren Kopf presse – zu dem Treffpunkt nahe ihrer Wohnung, von wo aus wir zu so vielen unserer Wochenenden aufgebrochen sind.
Alles ist schwerelos, ich bin betrunken und schwer verliebt. Besoffene Schmetterlinge im Bauch. Ich stehe neben ihr, mit dem Rad zwischen den Beinen. Wir halten uns mit einem Blick aneinander fest. Ich denke, was für eine irre Frau, denke an die Sekunden vor unserem ersten Kuss und bemerke, dass ihr Gesicht einen anderen Zug bekommt. Im verschatteten Straßenlicht tritt an ihrer linken Schläfe eine Ader hervor und plötzlich, an der Art wie ihr Blick mich fallenlässt, merke ich, dass wir uns mitten in unserer Coda befinden. Sie holt Luft. "Ich bin schwanger", bricht es aus ihr heraus, "von meinem Freund". Sie presst ihre kleine Faust kurz und fest auf mein Brustbein und meint lippenlos: "Das geht nicht mehr." Durch meine Tränen sehe ich ihre. Ich schließe die Augen. Als ich sie wieder öffne, ist sie schon auf der anderen Straßenseite. "Scheiß drauf", stoße ich hervor und nehme es mir nicht ab. Es ist zu spät für eine eigene Haltung.
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