Ob als Bestrafung oder Belohnung: Schmerz ist oft ein integraler Bestandteil von Kink und BDSM. Aber wie findet ihr für euch heraus, wo die Grenze zwischen angenehm-luststeigerndem und unangenehm-abtörnendem Schmerz verläuft? Wie geht ihr mit ungewollten Verletzungen um? Und warum sind körperliche und emotionale Nachsorge für alle Beteiligten so wichtig? Ein Dom erzählt.
Von Vaegabound
Den Lederriemen in der Hand
Sie schwebt dort in der Mitte des Raumes. Arme und Hände kunstvoll gefesselt und an einem Ring in der Decke fixiert. Es sieht fast so aus, als würde sie beten. Wäre da nicht die Strumpfhose, die bis zu den Knien herabgezerrt und das Kleid, das hochgeschoben wurde, um ihren Po zu entblößen. Mit einer Mischung aus Erwartung und Hingabe sieht sie mich an. Ich lege meine Hand auf ihre Wange und schaue ihr tief in die Augen.
Wir beide wissen um die schweren Lederriemen in meiner anderen Hand. Wissen beide, was als nächstes geschehen wird. Ich dehne den Moment, lasse die Spannung wachsen. Bis ich das Flehen in ihren Augen sehe, die intimste aller Bitten: "Tu mir weh!". Ein leichtes Lächeln umspielt meine Lippen. Und während ich ihren Blick mit meinem halte, hebe ich langsam die Hand mit dem Lederflogger.
Später, wenn sie in meinen Armen liegt, eine weiche Decke um die Schultern, etwas zu trinken in der Hand, wird sie erschöpft aber glücklich davon erzählen, wie sich der erste Schlag anfühlte. Wie sich Schmerz und Genuss vermischten und sie in ihren Subspace – jenem meditativen Zustand im BDSM – hinüberglitt. Und mit warmer, erfüllter Stimme wird sie flüstern: "Danke."
Schmerz ist nicht gleich Schmerz
Gerade im Kontext von Kink und BDSM – dem spielerischen Erforschen all unserer sinnlich-dunklen Fantasien und Bedürfnisse – spielt das Erleben, Zufügen und idealerweise Genießen von Schmerz oft eine Rolle. Doch Schmerz ist nicht gleich Schmerz. Nachts im Dunkeln auf einen Lego-Stein zu treten oder sich wohlig stöhnend unter einer intensiven Massage zu winden, sind zwei völlig unterschiedliche Erfahrungen von Schmerz.
Ebenso wie die Bewertung des Erlebnisses danach: Der Lego-Schmerz lässt uns genervt und frustriert zurück, an den Schmerz der Massage knüpft sich ein matter, glückseliger Entspannungszustand. Ebenso ist es im Kink/BDSM: Die richtige Art von Schmerz fühlt sich gut an. Die falsche nicht. Wie aber finden zwei (oder mehr) Spielpartner*innen heraus, welche Art und Intensität die Richtige für sie ist? Nach meiner Erfahrung spielen dabei drei Faktoren eine große Rolle: Kommunikation, Spielrahmen und das individuelle Schmerzempfinden.
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1. Verbale und nonverbale Kommunikation
Jede meiner Sessions ist eingebettet in ein Gespräch über bisherige Erfahrungen, Wünsche, Vorlieben, Grenzen, Trigger, Bedürfnisse und Intentionen meiner Spielpartner*in und mir. Bereits vor dem Spiel sollte also detailliert und offen darüber gesprochen werden, welche Art und Intensität von Schmerz erwünscht ist. Und welche vermieden werden soll.
Es gibt Menschen, die lieben den scharfen Schmerz einer Gerte, finden den dumpfen Schmerz eines Floggers hingegen langweilig. Andere wiederum genießen das satte Klatschen des Leders auf ihrer Haut und können sich durch den richtigen Rhythmus in einen ekstatischen Trancezustand peitschen lassen, wären jedoch durch den scharfen "Biss" der Gerte schon nach wenigen Hieben am Ende ihrer Schmerztoleranz und Lust. Und andere wiederum wollen gar keinen Schmerz spüren, sondern sich lediglich im Seil oder im Machtgefälle einer Session fallen und führen lassen.
Im Spiel selbst benutze ich ein System aus verbaler und nonverbaler Kommunikation. Das kann ein kurzer Austausch, ein kurzes Nachfragen à la "Wie geht es Dir?", "Brauchst Du eine Pause?", "Ist das zu fest?" sein. Dazu kommt ein System von Safe-Wörtern. Zum Beispiel "Gelb" für weniger bzw. Pause und "Rot" für Stopp bzw. Spielabbruch.
Das Ganze sollte ergänzt werden durch ein Set von nonverbaler Kommunikation. Handzeichen, Kontrollgriffe etc. Zum einen fällt es einigen Partner*innen leichter, die eigenen Grenzen in einer Szene durch ein Handzeichen zu kommunizieren als durch Worte. Zum anderen kommt es im Spiel oft vor, dass der/die Spielpartner*in den Mund zu voll hat für eine klare Artikulation.
2. Der Spielrahmen
All die Kommunikation vor einer Szene hat nicht nur den Zweck, sich darüber auszutauschen, was wie passiert und um sorgfältig auszuwählen, welche Stimulationen sich richtig bzw. erträglich anfühlen. Sie dient auch dazu, einen Rahmen zu schaffen, in dem sich alle Beteiligten sicher und aufgehoben fühlen. Das bewusste und sichere Spielen, Erforschen und Ausleben im Kink/BDSM – das damit verbundene Potential, bei uns selbst anzukommen, uns ganz neu zu entdecken – ist erst dadurch möglich, dass wir eine sichere Umgebung schaffen.
Einen sicheren Raum, in dem wir intensive Stimulationen und Zustände zulassen können, ohne zu erstarren, von Scham überwältigt zu werden oder in Angst oder Panik zu verfallen. Unser individuelles Schmerzempfinden ist nicht festgesetzt. Ob wir müde oder gereizt sind, ob wir uns sicher oder unsicher fühlen, ob wir unserem Partner vertrauen oder nicht: All dies und noch mehr, trägt dazu bei, ob Körper und Psyche das Schmerzempfinden in diesem Moment hochschrauben oder herabsetzen.
Es ist zwar die Aufgabe des dominierenden Parts, den vereinbarten, sicheren Rahmen über den Verlauf einer Session hinweg beizubehalten, dieser Rahmen muss aber erstmal gemeinsam gesetzt werden. Der sich hingebende Part darf sich nicht darauf ausruhen, zu sagen. "Mach mit mir, was Du willst." Das ist zwar in der Fantasie reizvoll, aber in der Realität haben die meisten von uns bereits eine Richtung im Kopf, in die es gehen soll.
Es macht eben einen Unterschied, ob du Dich in einem dunklen Keller angekettet und auf allen Vieren aus einem Napf fressend wiederfindest, oder bei Kerzenlicht zu Piano-Musik und unter gefühlvollen Klapsen auf den Po kunstvoll gefesselt wirst. Welches Setting für alle Beteiligten das Richtige ist, sollte also untereinander unbedingt abgestimmt werden.
3. Individuelles Schmerzempfinden
Sex ist ein Kontaktsport. Und dort, wo verschiedenen Körper aufeinandertreffen, können und werden Unfälle und Verletzungen entstehen. Dabei ist stets zwischen unbeabsichtigten und mutwilligen Verletzungen und Grenzüberschreitungen zu unterscheiden. Grundsätzlich sollten sich alle Spielpartner*innen über die Gefahren und Risiken der jeweiligen Spielarten Bescheid im Klaren sein.
Insbesondere der dominante Part muss um das Risiko der geplanten Session wissen, wie er es mindert und wie er ggf. mit Unfällen umgeht. Passiert in einer Session etwas, was die Unterbrechung des Spiels notwendig macht, sollte der verletzte Partner erstmal körperlich und emotional stabilisiert werden.
Wie das zu geschehen hat, sollte im Gespräch vor der Session individuell besprochen werden. Ist der erste Schreck erst einmal überwunden, redet darüber, was passiert ist. Was falsch gelaufen ist, welche Grenze verletzt worden ist. Das ist nicht der Moment für Schuldzuweisungen oder Uneinsichtigkeit aus verletzten Stolz. Bleibt sachlich, wertschätzend und offen. So können alle Beteiligten an der Situation wachsen, Vertrauen (wieder)aufbauen und es im kommenden Spiel besser machen. Und natürlich müssen körperliche Verletzungen angemessen versorgt und ggf. eruiert werden, ob ein Besuch beim Arzt notwendig ist.
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Aftercare
Selbst wenn die gemeinsame Session ein sinnlich-rauschhaftes Abtauchen in die Abgründe eurer Fantasien war: Nehmt euch danach Zeit füreinander und dafür, gemeinsam wieder in die Realität zurückzukommen. Gerade der sich unterwerfende Part erlebt nach einer intensiven Session oft einen kleinen "Absacker", wenn sich all die köstlichen Hormone langsam wieder verflüchtigen.
Etwas zu trinken, eine Decke und etwas Schokolade machen die Landung deutlich weicher. Sprecht darüber, wie jeder*r das Spiel erlebt hat, was besonders schön, überraschend und aufregend war – und was nicht so schön oder zu viel. Hier ist auch Gelegenheit, darüber zu reden, ob Lust geweckt wurde, beim nächsten Mal bestimmte Spielarten oder Grenzbereiche miteinander weiter zu erforschen. Und freut euch auf die nächste gemeinsame Szene. Denn nach dem Spiel ist ja bekanntlich vor dem Spiel.
Stay safe, play wild!
Der Autor: JOYclub-Profil | Instagram
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