Ich bin mit 40 Jahren Mutter geworden. Doch nach der Geburt verabschiedet sich meine Libido. "Unbekannt verzogen", heißt es. Ich gebe mich mit diesem Status quo nicht zufrieden. Wo ist sie hin, die Lust? Liegt es am Kind? An mir? Oder gar am Patriarchat? Eine sehr persönliche Reise – mit Höhepunkten von Tantramassage bis Cervix DeArmouring.
Ein Gastbeitrag der Journalistin und Autorin Tina Molin
Ein Gutschein für die Lust?
Ich halte den Gutschein in der Hand und schlucke: "Eine Tantramassage". Mein Mann strahlt, ich lächle gequält. Ich kann seine Intention erahnen: Ich will wieder Sex mit dir! Seit der Geburt unseres Kindes ist unsere Zweisamkeit völlig in den Hintergrund getreten. Ich bin voll ausgelastet mit der Mutterschaft – Sex ist gerade so wichtig wie Schlittschuhlaufen. Das Einzige was zählt, sind das Kind und mein Schlaf. Möglichst allein. Möglichst in Ruhe.
Ich fühle mich unter Druck gesetzt. Doch ich bin auch gerührt. Eine schöne Geste voller Liebe und Zuneigung. "Er vermisst mich als Geliebte", denke ich. Eigentlich schön. Unser Sex früher war gigantisch. Orgasmen, kinky, playful. Unsere Körper wussten, was zu tun ist, wie von selbst fanden sich unsere Münder, wurden intime Stellen berührt, baute sich die Woge der Lust auf und brandete über uns hinweg.
Jetzt war Sex anders. Unsere Zähne krachten aufeinander, ein Arm war immer zu viel im Bett oder schlief einem von uns ein. Mein Körper blieb kalt, wenn er berührt wurde. Keine Lust, keine Wogen, keine Brandung, kein gemeinsamer Flow. Ich war frustriert. Mein Mann war frustriert. Ich fühlte mich zum Sex gedrängt, er sich wie ein "Sex-Monster". So kann es nicht weitergehen, denke ich, und mache einen Termin.
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Bei der Tantramassage
Die Masseurin ist nackt. Das irritiert mich zunächst. Langsam entspanne ich mich, genieße ihre Berührungen. Auch wie ihr nackter Oberschenkel meinen berührt und wie sich bei bestimmten Bewegungen ihre Brust an mich schmiegt. Es ist sehr sinnlich, aber nicht erotisch.
Ich bin überrascht, mit welcher Hingabe sie jedes Körperteil sinnlich berührt. Wie kein Du-musst-jetzt in ihren intimen Berührungen liegt. Kein Kommen-müssen, Feucht-werden-müssen, Funktionieren-müssen. Für mich eine völlig neue Erfahrung. Doch damit ist noch nicht Schluss. Ich kenne die Erregung durch Anspannung, nun komme ich in die Lust durch Entspannung. Je weniger ich muss, je mehr ich bin, desto mehr bauen sich die Wogen auf. Und als sie über mich hinwegspülen, öffnet sich mein Kopf und mein Herz. Ich stehe im Universum, eins mit den Sternen. Ein spiritueller Höhepunkt.
Am nächsten Tag steht mein Telefon nicht still. Alle Freundinnen wollen wissen: Wie war es? Das ist der Anfang für meinen Blog happyvagina.de Aber auch der Auftakt zu meiner Reise. Zurück zu meiner Lust. Doch um ehrlich zu sein, ist es weniger ein Zurück. Meine Sexualität will sich weiterentwickeln.
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Von Womb Blessing bis Cervix DeArmouring
Für meinen Mann ist das nicht so einfach. Seine Frau verändert sich. Will anders, will neu. Will so nicht, weiß nicht, was sie will, und dann wieder schon. Er ist die Geduld in Person. Lässt mich reisen, erfahren und lernen. Ich bin beim Womb Blessing und atme in meine Gebärmutter (die durch den Kaiserschnitt ziemlich gelitten hat). Ich gehe zum Cervix DeArmouring. Wieder eine Intimmassage, wobei diesmal der Gebärmuttermund im Mittelpunkt steht. Das kann sehr lustvoll sein, ist die Gebärmutter doch zu gigantischen Orgasmen fähig!
Das neue Lustpotenzial
Tatsächlich erlebt unser Liebesleben mit jeder meiner Reisen einen neuen Höhepunkt. Ich lerne meinen Körper neu kennen und erforsche sein Lustpotenzial. Cervix-Orgasmen, vaginale Orgasmen, U-Punkt, A-Punkt, G-Punkt/Zone. Frauen sind designed for Love. Von wegen "lustlose Wesen". Es braucht nur die passende Road Map und schon ist frau auf zum Weg ins Glück.
Solo-Sex kann eine schöne Abkürzung zum Glück sein. Wer seinen Körper gut kennt, kann dem anderen schließlich wertvolle Hinweise geben. All diese Punkte und Zonen selbst erkunden, die oft verteufelt oder sogar ignoriert wurden. Die Existenz der G-Zone wird von (männlichen?) Wissenschaftlern noch angezweifelt. Die AFE-Zone ist kaum erforscht, die Klitoris wurde (wird!) nur als Perle wahrgenommen, obwohl sie ein Schwellkörper ist! Sogar so groß wie der Penis!
Hallo und tschüss, Patriarchat. Ausgestattet mit so viel Wissen, Fachkenntnis und Expertise ist man im Bett dann ein wertvoller Sherpa für den gemeinsamen Gipfelsturm. Schluss mit Sprachlosigkeit, hallo Alpenglühen.
Feministin auf dem zweiten Bildungsweg
Und langsam lerne ich mein Lustempfinden zu verstehen. Lerne, dass guter Sex weniger mit der richtigen Stellung als vielmehr mit der richtigen Einstellung zu tun hat. Verstehe, wie wichtig es ist, Verantwortung für den eigenen Orgasmus zu übernehmen, Grenzen zu setzen, über seine Lust zu sprechen, eine gesunde Konfliktkultur in der Beziehung zu leben, gepaart mit einer großen Portion Selbstliebe und Selbstbewusstsein.
Ich werde zu Tina 40.0 und schließlich finden sich unsere Münder wieder wie von selbst, unsere Körper verschmelzen, intime Stellen werden berührt und erbeben. Eine Woge der Lust baut sich auf und brandet über uns hinweg. "Na, endlich", sage ich und mein Mann lacht erleichtert. "Lust auf mehr", frage ich und er bemüht sich nicht mal sein lustvolles Grinsen zu unterdrücken.
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Video: Was sollten Männer über die weibliche Lust wissen?
Herzlichen Dank an Paulita Pappel, Carina Moeller-Mikkelsen, Kinky Karrot, Shibari_Sari, Kathrin Ismaier, LadyMariaNapier, Bettina Viola Barth, Lisa_Rocketcock, Birte Fulde und Mone Hazel!
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