gif
©

Die Gedanken sind frei!

10 Fragen an einen Sexualtherapeuten

Wer braucht sexualtherapeutische Unterstützung und was ist schon normal? Dr. Jörg Signerski-Krieger therapiert Menschen, die Belastungen in ihrer Sexualität erleben. Ein Gespräch über sexuelle Fantasien und darüber, wie unsexy es ist, Sexualtherapeut zu sein.

Interview von kinkyminky mit Dr. Jörg Signerski-Krieger

1. Du bist Sexualmediziner und Sexualpsychotherapeut. Wie bist du zu dieser recht speziellen Fachrichtung gekommen?

Ich habe als Assistenzarzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet und fand dort vor allem die Arbeit mit den Eltern interessant: Paardynamiken und Paarbeziehungen. Da war der Weg zur Fortbildung zum Sexualpsychotherapeuten nicht weit. Im Anschluss habe ich mich zunehmend in diesem Bereich engagiert und selbst Fortbildungen in der Sexualmedizin gemeinsam mit der Bundesärztekammer konzipiert.

Die Gedanken sind frei!
PD Dr. Jörg Signerski-Krieger ist Geschäftsführender Oberarzt an der Uniklinik Göttingen. Als Sexualmediziner und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie behandelt er Menschen, deren Sexualität für sie zur Belastung wird. Im JOYclub ist Jörg Teil des Sex-Education-Programms und hat bereits einen Livestream zum Thema sexuelle Fantasien veranstaltet.

2. Sexualtherapeut ist kein geschützter Begriff. Worauf sollte ich achten, wenn ich mir Hilfe rund um Sexualität holen will?

Immerhin ist Sexualmediziner:in ein geschützter Begriff. Wer sexualpyschotherapeutische Hilfe sucht, findet geprüfte Zertifizierungen bei verschiedenen Gesellschaften. In meinem Fall ist das etwa die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS). Die hat eine Liste mit Therapeut:innen, auf der du verschiedene Personen mit genau dieser Ausbildung findest.

3. Wer kommt zu dir und welche Herausforderungen erlebst du dabei?

Zu mir kommen Menschen mit Transidentitäten und Personen mit sexuellen Funktionsstörungen, das heißt Libidoverlust, Erektionsstörungen, Schmerzen beim Sexualkontakt (etwa durch Vaginismus). Dann kommen Patient:innen, die eine Sexsucht oder einen Fetischismus in einem Maße haben, das sie als belastend empfinden. Weil ich ebenfalls Psychiater bin, sind es auch Patient:innen, deren sexuelle Probleme in einer psychischen Erkrankung oder deren Medikamentation liegen, was im Übrigen gar nicht so selten ist.

 
Die Herausforderung, die ich als Sexualpsychotherapeut habe, ist es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Vertrauen aufkommt und in der Patient:innen unverkrampft über Sexualität reden können.
 

Die meisten, die zu mir kommen, haben noch nie mit jemandem über ihre Problematik oder gar über Sex mit jemandem gesprochen. Und dann sitze ich noch als Fremder gegenüber – das kann schon herausfordernd sein.

Lass uns reden!

4. Was sind für dich weitere Gründe, eine Sexual(psycho)therapie zu beginnen?

Wenn grundsätzlich ein Leidensdruck da ist und man das Gefühl hat, man benötigt von außen Unterstützung, dann ist es durchaus eine Idee eine:n Sexualpsychotherapeut:in aufzusuchen. Teilweise reicht auch eine Sexualberatung aus. ProFamilia macht eine super Arbeit, die EFL (Ehe Familie Leben) und viele andere Träger ebenso. Im Gespräch können sich dann weitere Schritte entwickeln, aber nicht immer ist eine Sexualpsychotherapie nötig.

Manchmal kann auch eine Physiotherapie helfen, wenn es etwa um An- und Verspannungen im Beckenboden geht oder eine Sexualtherapie mit dem Schwerpunkt Sexocorporel. Dann muss es auch nicht die klassische Psychotherapie sein.

Arbeit mit dem Körper

5. Wie komme ich zu dir und wie läuft eine Sitzung bei dir ab?

Wir haben auf unserer Homepage ein Online-Formular, auf dem du dich anmelden kannst. Die Wartezeit hängt davon ab, welche Problematik vorliegt.

Im Anschluss gibt es einen Erstkontakt, bei dem wir uns kennenlernen und ich einen groben Überblick erhalte. Hier stellt sich zunächst die Frage, ob ich überhaupt Unterstützung sein kann – teilweise reicht der erste Kontakt auch schon aus. Falls nicht, müssen sich die Patient:innen auch darüber klar sein, ob sie mit mir als Person arbeiten können. Auch ein guter, qualifizierter Therapeut muss nicht zu jedem passen. Die Chemie muss stimmen, man geht ja schließlich auch nicht mit jedem ein Bierchen trinken. Wenn sie stimmt, schauen wir, wie wir weiter therapeutisch oder medizinisch vorgehen. Das hängt dann vom einzelnen Fall ab.

Wenn die Chemie stimmt, schauen wir, wie wir weiter therapeutisch oder medizinisch vorgehen. Das hängt dann vom einzelnen Fall ab.

 
Schlechte Chemie? Vor der Therapie besser das Gegenüber kennenlernen.
Schlechte Chemie? Vor der Therapie besser das Gegenüber kennenlernen.
©
 

6. In einem Sex-Education-Livestream im JOYclub sprichst du über sexuelle Fantasien. Welche Bedeutung haben Fantasien für unsere Sexualität und unser Sexleben?

 
95 % der Menschen haben sexuelle Fantasien.
 

Das heißt, für diese Menschen hat es in jedem Fall eine Bedeutung, meist beim Solosex. Aber sexuelle Fantasien kommen auch relativ häufig beim Koitus mit anderen vor. Sie können mehrere Ebenen haben, sei es zur Luststeigerung, um Sachen auszuprobieren. In Fantasien können wir kreativ sein und Realitäten schaffen, die es so nicht gibt. Ein Raum, um sich erotisch auszuleben und zu bereichern.

7. Wie kann ich mein Kopfkino steuern und vielleicht sogar bewusst lenken?

Es gibt die Möglichkeit der Fantasiereisen, ein Tagebuch zu schreiben, eigene erotische Geschichten festzuhalten oder auch zu zweit Ping Pong zu spielen: Es beginnt mit einem Stichwort und der oder die andere führt die Gedanken weiter und spielt sie zurück. So spielen wir Wörter hin und her. Das kann auch per Textnachrichten passieren, in denen wir uns gegenseitig anteasen und uns heiß machen: "Bin schon zu Hause – warte auf dich in der Badewanne …"

Auf diesen verschiedenen Ebenen können wir das Kopfkino alleine für uns in Gang bringen, aber auch in der Partnerschaft benutzen.

Wichtig ist es, neugierig zu sein. Mal links und rechts zu schauen und der Neugierde zu folgen. Sexuelle Fantasien zu haben heißt nicht, dass diese umgesetzt werden müssen.

 
Die Gedanken sind frei!
 

Sexuelle Fantasien sind nicht pathologisch, solange wir sie steuern können. Sie dürfen verrückt oder abwegig sein und etwas, das wir in der Realität nie tun würden.

Hinter den Fantasien steckt nicht selten eine Metabotschaft. So sind etwa Überwältigungsfantasien überhaupt nicht pathologisch und natürlich kein Wunsch nach einer Vergewaltigung und kommen sehr häufig vor. Dahinter können ganz viele andere Subbotschaften stecken.

 
Augen zu, Kopfkino an: Bring deine Fantasien in Gang.
Augen zu, Kopfkino an: Bring deine Fantasien in Gang.
©
 

8. Was ist für dich normal: Gibt es noch Situationen bei deiner Arbeit, die dich aus dem Konzept oder zumindest zum Staunen bringen?

In meiner ersten Zeit als Sexualtherapeut habe ich einmal in der Woche Dinge gehört, die ich nicht kannte. Jetzt ist es eher einmal monatlich die Erkenntnis "Ach, das gibt’s auch?". Ich finde den Normalitätsbegriff schwierig, denn er setzt einen Standardwert voraus. Es gibt aber wohl keinen anderen Begriff, der wertungsfrei zu nutzen ist.

Sexualität ist ein bunter Blumenstrauß, der vielfältig und wunderschön ist und wo so vieles nicht pathologisch ist, dass es mir in meinem Beruf immer noch Spaß macht, nach links und rechts zu schauen und ich Dinge entdecke, die ich vorher noch nicht kannte.

9. Bist du der beliebteste Gesprächspartner auf Partys, weil alle deinen Rat hören wollen?

Gerade nicht! Auf Partys will ich gerne flirten, das geht aber nicht. Wenn ich mich oute, dass ich Sexualtherapeut bin, werden entweder mit mir Probleme diskutiert oder aber, mein Gegenüber denkt, ich sei verrückt oder würde eine Lügengeschichte auftischen, um jemanden ins Bett zu kriegen.

Ich versuche, das zu verheimlichen, was mir nicht häufig gelingt. Ich sage dann einfach, dass ich Arzt bin. Psychiater ist auch keine gute Option. Zu sagen, dass ich Sexualpsychotherapeut bin, ist im flirtiven Bereich echt der Killer. Entweder es wird als platte Anmache aufgefasst oder ich bin der Seelenklempner.

10. Welche Tipps hast du für Menschen, die keine Therapie anstreben, und ihr Sexleben dennoch verbessern wollen?

Wir sind alle so individuell, dass ich keine allgemeingültigen Tipps geben will. Was ich aber sagen kann: Seid neugierig auf das, was ihr erlebt und genießt eure Sexualität – wie ein gutes Essen, an dem ihr Spaß habt.

Livestreams der Sex Education verpasst?

Schau dir die Aufzeichnungen der Vorträge und Workshops jetzt gratis in der Mediathek an!

Die Gedanken sind frei!

Zur JOYclub-Mediathek


Du magst diesen Beitrag? Dann schenk ihm ein "Gefällt mir".
Wo findest du Hilfe bei Herausforderungen? Tausch dich im Forum aus.

Neu hier mit Neugier?

  • Wir haben Menschen – von der Tantramasseurin bis zum Pornokinobesitzer – gefragt, was Nach- und Vor(ur)teile sind, wenn es heißt "Beruf: Sex".
  • Für unser Video-Frageformat Haha, reingeguckt! befragen wir Fetischisten und Menschen mit sexuell konnotierten Berufen: vom Dom bis zur Ballonfetischistin.
  • Es muss nicht gleich eine Sexualtherapie sein. Manchmal hilft es schon, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Etwa in unserem aufgeschlossenen Sex-Forum.

Let's talk about sex!

Nach diesem Interview willst du endlich über Fantasien, Wünsche und Neigungen mit anderen sprechen? Finde Gleichgesinnte in unseren Gruppenempfehlungen im JOYclub – für einen regen Austausch und vielleicht für mehr.
Slow Sex | Erotische Kommunikation | Sexological Bodywork

JOYclub: Was ist das?

  • JOYclub ist mit knapp 5 Mio. Mitgliedern eine lebendige, sexpositive Community, die dein Liebesleben komplett auf den Kopf stellen wird.
  • Egal ob Mann, Frau, Trans, Single oder Paar: Im JOYclub kannst du (gern mit deiner Partnerin/deinem Partner) deine erotischen Fantasien mit anderen Mitgliedern entdecken und ausleben.
  • Neugierig? Dann melde dich kostenlos und unverbindlich an und entdecke die faszinierende JOYclub-Welt. Wir freuen uns auf dich!

Werde Teil unserer Community